Spielen: Roman (German Edition)
dass er fast wie eine Art Lendenschurz fiel. Dieses Indianerartige an ihm gefiel mir ausnehmend gut, und ich verfolgte aufmerksam, wie weit sie vorangekommen war.
Mutter war häufig mit Handarbeiten beschäftigt. Die Vorhänge im Wohnzimmer und in der Küche hatte sie gehäkelt, und die weißen Vorhänge in unseren Zimmern, Yngves mit braunem Rand und braunen Blumen, meine mit rotem Rand und roten Blumen, hatte sie genäht. Außerdem strickte sie Pullover und Mützen, stopfte Strümpfe, flickte Hosen und Jacken. Wenn sie das nicht tat und auch nicht kochte und spülte oder Brot backte, las sie. Wir hatten ein ganzes Regal voller Bücher, so etwas hatten die anderen Eltern nicht. Außerdem hatte sie im Gegensatz zu Vater Freunde, zumeist Arbeitskolleginnen in ihrem Alter, die sie manchmal besuchte, wenn ihre Freundinnen denn nicht zu uns kamen. Ich mochte sie alle. Da war Dagny, mit deren Sohn und Tochter, Tor und Liv, ich in den Kindergarten gegangen war. Da war Anne Mai, die rundlich und fröhlich war und uns immer Schokolade mitbrachte, einen Citroën fuhr und in Grimstad wohnte und die ich einmal mit dem Kindergarten besucht hatte. Außerdem war da Marit, die einen Sohn namens Lars hatte, der genauso alt war wie Yngve, sowie eine zwei Jahre jüngere Tochter namens Marianne. Oft kamen sie nicht zu uns, denn Vater sah das nicht gern, aber ungefähr einmal im Monat besuchten uns eine oder mehrere von ihnen; dann durfte ich eine Weile mit ihnen zusammensitzen und mich in dem Glanz sonnen, der dadurch auf mich fiel. Außerdem fuhren wir an manchen Abenden zur Werkstatt im Sanatorium Kokkeplassen, wo man alles Mögliche werkeln konnte und wohin auch andere Kinder von Angestellten kamen, um dort beispielsweise Weihnachtsgeschenke zu basteln.
Mutters Gesicht war sanft, aber ernst. Sie hatte ihre langen Haare hinter die Ohren gestrichen.
»Dag Lothar hat heute eine Kreuzotter gesehen!«, verkündete ich.
»Aha?«, sagte sie. »Wo denn?«
»Auf dem Weg zur Badestelle. Er wäre fast auf sie getreten! Aber zum Glück hatte sie genauso viel Angst wie er und hat sich in die Büsche verzogen.«
»Das war gut so«, sagte sie.
»Gab es da Kreuzottern, wo du als Kind gewohnt hast?«
Sie schüttelte den Kopf.
»In Westnorwegen gibt es keine Kreuzottern.«
»Warum nicht?«
Sie lachte kurz.
»Keine Ahnung. Vielleicht, weil es da für sie zu kalt ist?«
Ich ließ die Beine baumeln, trommelte mit den Fingern auf dem Tisch und summte dabei kisses for me, all of the kisses for me, bye, bye, baby, bye, bye.
»Kanestrøm hat heute jede Menge Makrelen gefangen«, sagte ich. »Ich habe sie selbst gesehen. Er hat mir seinen Eimer gezeigt. Er war ganz voll. Was meinst du, bekommen wir auch bald ein Boot?«
»Jetzt geht es aber los«, entgegnete sie. »Ein Boot und eine Katze! Schon möglich. Dieses Jahr aber sicher noch nicht. Vielleicht nächstes Jahr? Weißt du, so ein Boot kostet nämlich Geld. Aber du kannst Papa ja mal fragen.«
Sie reichte mir wieder die Schere.
Papa fragen, ja sicher, dachte ich, sprach es aber nicht aus und versuchte stattdessen, die Schere gleiten zu lassen, ohne mit ihr zu schneiden, aber sie blieb stecken, woraufhin ich die Klingen zusammendrückte und das Ergebnis eine Zacke war.
»Yngve ist ganz schön spät dran«, sagte sie und schaute aus dem Fenster.
»Er ist in guten Händen«, erklärte ich.
Sie lächelte mich an.
»Das ist er sicher«, sagte sie.
»Der Zettel«, sagte ich. »Dieser Schwimmkurs. Kannst du ihn jetzt bitte unterschreiben?«
Sie nickte. Ich stand auf, lief durch den Flur in mein Zimmer, suchte die Kopie aus meinem Ranzen heraus und wollte gerade zurücklaufen, als unten die Tür aufging und ich mit pochendem Herzen erkannte, was ich gerade getan hatte.
Auf der Treppe hörte ich Vaters schwere Schritte. Ich stand vollkommen reglos vor dem Badezimmer, als mich sein Blick vom unteren Treppenabsatz aus traf.
»In diesem Haus wird nicht gelaufen!«, sagte er. »Wie oft soll ich dir das noch sagen? Es poltert und wackelt im ganzen Haus. Hast du mich verstanden?«
»Ja.«
Er kam hoch und ging an mir vorbei, der breite Rücken in dem weißen Hemd. Als ich sah, dass er in die Küche ging, wich alle Freude aus mir. Trotzdem musste ich ihm folgen.
Mutter saß noch da wie zuvor. Vater stand am Fenster und blickte hinaus. Vorsichtig legte ich das Blatt auf den Tisch.
»Hier«, sagte ich.
Ein Buch fehlte noch. Ich setzte mich hin und begann es einzubinden. Nur meine Hände
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