Spielen: Roman (German Edition)
dem Rauschen der Abzugshaube.
»Klar«, sagte ich.
»Bist du bis zur Fina-Tankstelle gegangen?«
Sie sagte immer »Fina-Tankstelle«, niemals Fina wie wir anderen.
»Ja«, antwortete ich. »Was gibt es zu essen?«
»Eintopf mit Reis, dachte ich.«
»Mit Ananas?«
Sie lächelte.
»Nein, keine Ananas. Es ist ein mexikanisches Rezept.«
»Aha.«
Es entstand eine Pause. Mutter riss die Spitze einer Tüte ab und verteilte ihren Inhalt auf dem Hackfleisch. Anschließend füllte sie eine bestimmte Menge Wasser in einen Messbecher und goss es darüber. Kaum hatte sie das getan, kochte auch schon das Wasser im Topf, und sie schüttete Reis hinein. Dann setzte sie sich auf den Stuhl auf der anderen Seite des Tischs, presste die Hände in den Rücken und streckte sich.
»Was machst du eigentlich in Kokkeplassen?«, fragte ich.
»Weißt du das nicht? Du bist doch schon ganz oft da gewesen.«
»Du passt auf die auf, die da wohnen.«
»Ja, so könnte man es sagen.«
»Aber warum sind sie da? Warum wohnen sie nicht zu Hause?«
Sie dachte lange nach. Tatsächlich dachte sie so lange nach, dass ich längst an andere Dinge dachte, als sie mir schließlich antwortete.
»Viele, die dort wohnen, leiden unter Angstzuständen. Weißt du, was das ist?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Das ist, wenn du Angst vor etwas hast und nicht weißt, wovor du Angst hast.«
»Sie haben die ganze Zeit Angst?«
Sie nickte.
»Ja, genau. Außerdem rede ich mit ihnen und mache verschiedene Dinge mit ihnen, damit sie nicht mehr so viel Angst haben.«
»Aber …«, sagte ich, »sie haben keine Angst vor etwas Bestimmtem? Sie haben einfach nur Angst?«
»Ja, genauso ist es. Sie haben einfach Angst. Aber irgendwann geht das vorbei, und sie ziehen wieder nach Hause.«
Wir schwiegen eine Weile.
»Warum fragst du mich das? Hast du dir Gedanken darüber gemacht?«
»Nein, nein. Wegen meiner Lehrerin. Wir sollten erzählen, was unsere Eltern machen. Also habe ich erzählt, dass du in Kokkeplassen arbeitest, und sie wollte wissen, was du da machst, aber das wusste ich nicht genau. Weißt du, was Geir gesagt hat? Er hat gesagt, seine Mutter bringe den Leuten, die da wohnen, bei, wie man sich die Schuhe zubindet!«
»Das trifft es ganz gut. Die Leute, mit denen sie arbeitet, leiden nicht unter Angstzuständen. Aber sie haben Probleme, Dinge zu tun, die für uns ganz selbstverständlich sind. Zum Beispiel kochen und putzen. Oder sich anziehen. Und dann hilft Martha ihnen dabei.«
Sie stand auf und rührte im Topf.
»Das sind Mongos, stimmt’s?«, fragte ich.
»Man sagt, sie sind geistig behindert«, antwortete sie und sah mich an. »Es ist gemein, Mongos zu sagen.«
»Echt?«
»Ja.«
In der Etage unter uns wurde eine Tür geöffnet.
»Ich gehe noch ein bisschen zu Yngve«, sagte ich und stand auf.
»Tu das«, erwiderte Mutter.
Ich ging, so schnell ich konnte, ohne zu laufen. Wenn ich sofort losging, sobald ich die erste Tür hörte, schaffte ich es bis in Yngves Zimmer, bevor Vater die Treppe hochgekommen war und mich sehen konnte. Setzte ich mich jedoch erst in Bewegung, wenn ich die zweite Tür hörte, sah er mich noch.
Diesmal hörte ich die ersten Schritte auf der Treppe, als ich gerade die Tür hinter mir schloss.
Yngve lag noch immer auf dem Bett und las. Inzwischen in einem Fußballmagazin.
»Essen wir bald?«, fragte er.
»Ich denke schon«, antwortete ich. »Kann ich mir ein Comic von dir leihen?«
»Bitte«, sagte er. »Aber geh ordentlich damit um.«
Im Flur ging Vater vorbei. Ich bückte mich vor dem Stapel Comics im Regal. Er sammelte seine Hefte. So verwahrte er die einzelnen Ausgaben von Das Phantom in Ordnern, während meine überall verstreut lagen. Außerdem war er Mitglied im Phantom-Fanclub.
»Kann ich den ganzen Ordner haben?«, fragte ich.
»Vergiss es«, antwortete er.
»Und was ist mit dem Album?«
»Das kannst du haben«, sagte er. »Aber wenn du es ausgelesen hast, bringst du es wieder zurück!«
Samstags aßen wir mittags immer Milchreis und abends warm, meistens einen Eintopf und immer im Esszimmer und nicht wie sonst in der Küche. An jedem Platz lag dann eine Serviette. Mutter und Vater tranken Bier oder Wein zum Essen, wir bekamen Limonade. Wenn wir gegessen hatten, sahen wir fern. Meistens wurde aus einem Studio in Oslo eine Show im Broadwaystil übertragen, in der Frauen in Netzstrümpfen und Jacketts und mit Stöcken und Hüten sowie Männer in Smokings mit weißen Schals, Hüten und Stöcken
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