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Spielen: Roman (German Edition)

Spielen: Roman (German Edition)

Titel: Spielen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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eine weiße Treppe herabschritten und dabei ein Lied sangen. Ziemlich oft New York, New York . Sølvi Wang, die meine Mutter gerne sah, war fast immer dabei. Leif Juster, Arve Opsahl und Dag Frøland hießen einige andere, die samstags oft auftraten. Wencke Myhre war häufig in einem Sketch zu sehen, in dem sie ein kleines Kind im Kindergarten spielte, wenn nicht der Grand Prix lief, der neben dem FA-Cup- Finale, dem Europapokalfinale und dem Wimbledon-Turnier einen Höhepunkt des Fernsehjahres bildete.
    An diesem Abend saß ein mit Lumpen bekleideter Mann auf einem Dach und sang mit unglaublich tiefer Stimme. Oul man rivä , sang er. Ich summte das Lied den ganzen Abend vor mich hin. Oul man rivä sang ich, als ich mir die Zähne putzte, Oul man rivä sang ich, als ich mich auszog, Oul man rivä sang ich, als ich im Bett lag und schlafen sollte.
    Mutter und Vater hatten die Schiebetür zugezogen, saßen im Wohnzimmer und unterhielten sich, rauchten, hörten Musik und tranken den restlichen Wein aus der Flasche vom Abendessen. Zwischen den Liedern konnte ich ganz leise Vaters brummende Stimme hören und wusste, dass Mutter etwas in den Pausen sagte, obwohl ich ihre Stimme nicht hörte.
    Ich schlief ein. Als ich wieder aufwachte, saßen die beiden immer noch zusammen. Wollen sie sich etwa die ganze Nacht unterhalten?, dachte ich und schlief wieder ein.
    Die warmen, klaren Septembertage waren das letzte Aufbäumen des Sommers gewesen, denn nach ihnen brach er jäh in sich zusammen, und stattdessen kam der Regen. T-Shirts und kurze Hosen wurden gegen Pullover und lange Hosen ausgetauscht, morgens wurden Jacken angezogen, und als die ergiebigen Herbstregenfälle einsetzten, Stiefel, Regenhose und Regenjacke. Die Bäche schwollen an, auf den nicht asphaltierten Straßen standen überall Pfützen, an den Bordsteinkanten strömte das Wasser abwärts und riss Sand, kleine Steinchen und Tannennadeln mit. Man ging nicht mehr schwimmen, und die Leute planten an den Wochenenden keine Tagesausflüge mit ihren Booten mehr, der gesamte Verkehr von und zu den Anlegern drehte sich nun ums Fischen. Auch Vater suchte seine Angelausrüstung heraus, die Rute, die Rolle, die Blinker und die Haken, zog sein dunkelgrünes Regenzeug an und fuhr zur Seeseite der Insel hinaus, wo er an den Wochenenden manchmal stundenlang alleine fischte, immer auf der Jagd nach den großen Kabeljauen, die dort im Winterhalbjahr standen. Dass um diese Zeit der Schwimmkurs beginnen sollte, erschien mir nur angemessen, denn der Gedanke, in einer Halle im Becken zu schwimmen, während draußen gleichzeitig die Sonne brannte, erschien mir widernatürlich. Er sollte den ganzen Herbst über immer dienstags stattfinden, und in unserer Klasse hatten sich alle angemeldet. Da meine Mutter zur Arbeit fuhr, bevor ich morgens aufstand, bat ich sie am Abend vorher, nicht zu vergessen, mir auf dem Heimweg eine Badekappe zu kaufen. Das hätten wir natürlich längst tun sollen, aber es hatte sich irgendwie nie ergeben. Als ich ihren Wagen die Straße hinauffahren hörte, lief ich in den Flur und erwartete sie. Sie kam in ihrem Mantel herein, die Tasche über der Schulter tragend, und lächelte müde, als sie mich sah. Von einer Tüte aus einem Sportgeschäft war nichts zu sehen. War sie vielleicht in ihrer Tasche? Eine Badekappe war ja nicht sonderlich groß.
    »Hast du die Badekappe?«, fragte ich.
    »Oh nein, weißt du was?«, sagte sie.
    »Hast du sie etwa vergessen? Du hast sie doch wohl nicht vergessen? Der Kurs ist doch heute!«
    »Ich habe sie wirklich vergessen. Ich war auf dem Heimweg in Gedanken. Aber warte mal … wann fängt der Kurs an?«
    »Um sechs«, antwortete ich.
    Sie sah auf die Uhr.
    »Jetzt ist es halb vier. Die Geschäfte schließen um vier. Wenn ich sofort losfahre, schaffe ich es noch. Das könnte ich tun. Sag Papa, dass ich in einer Stunde wieder zu Hause bin, machst du das?«
    Ich nickte.
    »Beeil dich!«, sagte ich.
    Vater stand in der Küche und briet Koteletts. Eine Wolke aus Bratendunst hing über dem Herd. Der Deckel auf dem Kartoffeltopf wippte unter dem Druck des Dampfs klappernd auf und ab. Er hatte das Radio eingeschaltet und stand mit dem Rücken zu mir, den Bratenwender in der einen Hand, die andere auf den Rand der Arbeitsfläche gelegt.
    »Papa?«, sagte ich.
    Er drehte sich jäh zu mir um.
    »Was ist?«, sagte er. Und als er mich sah:
    »Was willst du?«
    »Mama kommt in einer Stunde nach Hause«, sagte ich. »Sie hat gesagt, dass ich

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