Spieler Eins - Roman in 5 Stunden
dahinten.«
Rick sieht die Gelegenheit und ergreift sie. Er reicht Luke seine Schrotflinte und sagt: »Wir gehen das Leck stopfen. Komm mit, Rachel.«
»Du hast doch alle Deckenlüfter abgestellt, richtig?«, fragt Rachel.
»Die sind absolut dicht.«
»Es kommt von dahinten.«
Rick folgt Rachel nach hinten in den Lagerraum, wo er am Morgen das Leergut vom Wochenende gestapelt hat. Über den Kästen ist eine schmale Belüftungsklappe, die Lamellen sind geöffnet. »Da ist das Leck«, sagt Rachel. »Kommst du da ran?«
»Ich werd wohl auf die Kästen steigen müssen.«
»Ich stell mich unten hin und halt sie fest. Und dich halt ich auch.«Der hereindringende Chemiestaub fühlt sich in Ricks Augen und in seiner Kehle wie gemahlenes Glas an. Rachel wirft Rick ein Geschirrtuch zu, damit er es über sein Gesicht legt. Er klettert auf die Kästen und stellt sich auf die Zehenspitzen. Rachel hält ihn an den Knien fest, während er das Fenster schließt. »So. Jetzt ist es zu«, sagt Rick.
Aber Rachel lässt seine Knie nicht los. Rick möchte das auch gar nicht. Er möchte, dass dieser Moment ewig währt. So würde er sich den Himmel wünschen: der Moment, in dem der Funke zündet und du weißt, dass alles wirklich werden wird, dass dein Instinkt dich nicht getrogen hat.
Im Lagerraum ist es still. Rick kann Rachels Atemzüge und seine eigenen hören. Er ist jetzt voll erregt und weiß, dass es gleich ans Eingemachte geht.
Rachel sagt: »Mich hat noch nie jemand geküsst.«
»Wirklich?«, erwidert Rick, das geschlossene Fenster anstarrend.
»Ja. Ich schreie oft schon, wenn Menschen mich auch nur berühren. Ich weiß, dass ich das nicht sollte, aber ich kann nicht anders.«
Rick hüpft von den Getränkekästen und steht nun unmittelbar vor Rachel, von Angesicht zu Angesicht. Rachel studiert seine Züge. »Wie ich sehe, hast du eine Narbe neben dem Auge«, sagt sie.
»Ein Messerstich.«
»Ins Gesicht?«
»Es war ein dummer Streit. Das ist schon lange her. So was mache ich nicht mehr. Schlägereien, meine ich. Nur wenn ich auf Sauftour bin. Aber das war ich schon seit vierzehn Monaten nicht mehr.«
»Tat das weh?«
»Was – der Messerstich? Nicht besonders. Man sollte es meinen, aber es war nicht so. Eigentlich war es sogar richtig cool. So als wäre ich für eine Sekunde aus meinem Körper gesprungen, wie ein Lachs, der aus dem Wasser springt.«
»Ich bin froh, dass du ein unverwechselbares Merkmal hast, an dem ich dich erkennen kann«, sagt Rachel.
»Ja?« Rick kann Rachels Atem auf seinem Gesicht spüren. Es fühlt sich an wie die Luft vor einem Gewitter im Spätsommer.
»Du siehst sehr entspannt aus«, sagt Rachel.
»Wirklich?«
»Vielleicht. Ich kann so was eigentlich gar nicht erkennen. Im Sozialen Kompetenztraining haben sie uns beigebracht, dass normale Menschen sich tatsächlich entspannen, wenn man so etwas zu ihnen sagt. Das ist so eine Copingstrategie.«
Rick küsst Rachel. Zuerst reagiert sie nicht, und er fragt sich schon, ob er alles verdorben hat und nun als Perverser dasteht, aber dann fängt sie Feuer und kaut ihm vor Leidenschaft beinahe das Gesicht ab. Rachel ist so energisch, dass Rick direkt ein bisschen Schiss bekommt, aber sie ist jung, und ihr Reptilienhirn weiß, was es will. Und Rick ist älter und kann es ihr verschaffen. Und er fährt darauf ab, im Abstellraum der Bar rumzumachen, als wäre er wieder jung. Es gibt nur noch sie beide in ihrem eigenen kleinen Universum, und plötzlich ergibt alles in der Welt einen Sinn, denn ohne all den Schrott, den Tod, die ganze elende Plackerei und Endlosigkeit des Lebens könnte Leidenschaft gar nicht existieren.
Nichts sehr, sehr Gutes und nichts sehr, sehr Schlechtes währt jemals sehr, sehr lang. Eine halbe Stunde später lagen Rachel und Rick zusammen am Boden. Ihre Kleidung war relativ sauber geblieben, und Rick war seltsam stolz, dass er den Raum immer so tipptopp in Ordnung gehalten hatte. Und wer hätte je gedacht, dass es in dem Lagerraum, in den das Licht aus dem Barbereich sickert, so romantisch sein konnte? Rachel wandte ihm das Gesicht zu. »Wieso war Leslie Freemont so wichtig für dich, Rick?«
»Leslie Freemont? Willst du das wirklich wissen?«
»Ja.«
Rick starrte an die Decke. »Na ja … Es fing vor ein paar Jahren damit an, dass ich das Gefühl hatte, mein Leben würde nicht mehrmir selbst gehören. Ich kam mir vor wie jemand, der nur im Körper dieses Rick gefangen war. Ich hatte Zugriff auf seine Erinnerungen und
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