Spielregeln im Job durchschauen
von Schulungen? Fehlanzeige.
Sie wurde ins kalte Wasser geworfen: »Jetzt stand ich vor den ehemaligen Kollegen und sollte zeigen, wo der Hase langläuft. Obwohl ich mutig bin, hatte ich ›Muffensausen‹, hatte sofort das Gefühl, das werden Machtkämpfe.« Plötzlich war sie Außenseiterin und konnte nicht mehr als Teammitglied mit ihren Exkollegen, die nun ihre neuen Mitarbeiter waren, reden: »Meine Sprache war nicht die eines Managers: Ich sagte ›könnte‹, ›sollte‹, ›müsste‹, ›bitte‹, ›danke‹. Das spiegelte meine Unsicherheit wider.« Die Mitarbeiter saßen vor ihr und sagten »ja, ja« zu allem. Sie verbündeten sich nicht offiziell gegen sie, aber jeder für sich wies sie zurück. Sie hatte den Eindruck, dass die Haltung vorherrschte: »Die Chefin ignorieren wir, wir haben bis jetzt auch keinen Vorgesetzten gebraucht.«
Tamara Kochnanek fühlte sich »völlig allein und ohnmächtig« und schottete sich gefühlsmäßig total ab: »Ich wurde sehr hart und zog mich in mich selbst zurück.« Ihre Strategie bestand darin, sich furchtbar aufzuregen und deutlich verstehen zu geben: »Ich bin hier die Chefin und das wird jetzt gemacht. Punkt!« Sie führte eine Reporting-Struktur ein und ließ einmal pro Woche einen Bericht schreiben. Zunächst bekam sie keinen einzigen pünktlich. Erst schickte sie freundliche E-Mails, dann schärfere, bis sie drohte, den quartalsmäßig ausgezahlten variablen Gehaltsanteil zu streichen. Es dauerte rund ein Vierteljahr, bis sich das Reporting einspielte. Den Rückzug der Mitarbeiter, die eigene Wege gingen, meist beim Kunden waren und kaum Feedback gaben, bekämpfte sie mit Einzelgesprächen: »Das war sehr anstrengend, aber die einzige Möglichkeit, nach und nach mein Team zurückzuholen.«
Tamara arbeitete 60 bis 80 Stunden die Woche und konnte den Job auch sonst gedanklich nie loslassen. Drei Monate lang schlief sie fast keine Nacht mehr durch. Im Arm hatte sie sogar Lähmungserscheinungen. Ihr Hobby war der Beruf, ihr Freundeskreis sehr begrenzt. Und der Job belastete auch die Beziehung und die Psyche ihres Partners. Im Urlaub war sie nur mit der Firma beschäftigt: »Es war eine Spirale aus Arbeit, Arbeit, Arbeit. Das ist wie eine Sucht, man kommt nicht raus, selbst wenn man auf die Bremse treten will. Andererseits wollte ich nicht mit 36 an einem Herzkasperl eingehen und ich wollte diese harte Schiene wieder ablegen.«
Inzwischen hat sie die Mitte gefunden: »Heute sind wir wirklich ein Team und haben lockeren Kontakt untereinander. Ich versuche ernsthaft zu sein, aber trotzdem noch lächeln zu können.« Was ihr dabei geholfen hat? Vor allem eine psychologische Weiterbildung in Neurolinguistischem Programmieren. Die wichtigste Erkenntnis war dabei: »Ich muss mich mit mir selbst auseinandersetzen.« Das führte dazu, dass sie die Situation der Mitarbeiter besser verstehen konnte. Heute hat sie das Gefühl, gerade noch rechtzeitig die Kurve bekommen zu haben: »Als Frau dachte ich, alles müsse permanent 150-prozentig perfekt sein. Alles müsse beim ersten Schuss sofort sitzen.« Erst mit der Zeit merkte sie, dass es auch anders, langsamer geht, und sie lernte zu delegieren: »Für die Männer ist es ein Spiel, für mich war es bitterer Ernst. Mein Chef hat oft nicht verstanden, was mich drückt, wahrscheinlich dachte er, ich sei überspannt.«
Tamara sagt von sich selbst, dass sie in ihrer »autoritären Phase« sicher keinen weiblichen Führungsstil hatte. Das wurde ihr auch vermittelt: »Du wirst jetzt richtig wie ein Mann«, urteilten die Mitarbeiter. Doch eine Vorstellung, wie sie als Frau Management betreiben könnte, hatte sie nicht: »Es war ein Vakuum. Ich hatte keine Vorbilder, keine Role-Models, nichts. Stattdessen war es für mich ›Trial and Error‹.« Heute empfindet Tamara es so, dass sie viele Schritte weiter ist. Wenn jemand etwas infrage stelle, könne sie es sich inzwischen leisten, auf andere Meinungen einzugehen – anstatt sich zu rechtfertigen oder den anderen abzuwürgen. Heute wirke sie durch Souveränität: »Und wenn ich richtig sauer bin, sage ich das auch. Ich stehe heute zu meinen Gefühlen und zeige sie auch.« Inzwischen hat sie sogar den Eindruck, dass die Männer stolz sind, eine Chefin zu haben.
Respektieren Sie fremdes Terrain
Zum Thema »Platzhirsch« gehört auch die Vorstellung, dass die »Hirsche« jeweils ein Revier besetzen, das abhängig von ihrer Bedeutung unterschiedlich groß sein kann. Der Knackpunkt
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