Spieltage
schlug Flanken, hinter denen er selbst hersprintete, um den Ball zurückzuholen. Nach dem ersten Bundesligaspiel in Braunschweig sagte Ata Lameck zu den Mitspielern: Ist das alles? Mehr muss man in der Bundesliga nicht bieten? Bochum hatte 2:0 gewonnen.
Nach dem Spiel rief Heinz Höher den 18-jährigen Hermann Gerland zu sich, den er in der 72. Spielminute eingewechselt hatte.
Von deiner Siegesprämie gibst du die Hälfte dem Günter Etterich, sagte Höher. Weil der Etterich ein Kind hat und du nicht.
800 Mark gab es für jeden, der gespielt hatte. Etterich war auf der Ersatzbank sitzen geblieben.
Natürlich, Trainer, sagte Gerland, das Geld ist nicht so wichtig, ich habe in der Bundesliga gespielt, mehr will ich gar nicht.
Oft spielten sie in Stadien, in denen die Zuschauer nur versprengte Flecken im kalten Grau der Betontribünen bildeten. Nur 6500 Zuschauer waren zu ihrem Spiel in Braunschweig gekommen, in Kaiserslautern im November waren es gar nur 5000, in Wuppertal und Duisburg 8000. Den Verdruss über Fußball, den Schieber- und Proletensport, spürte das Publikum immer besonders dann, wenn der Gegner nur Bochum oder Oberhausen hieß und es ein lausig kalter Wintertag war. Gegen Bayern München oder Mönchengladbach mit ihren strahlenden Europameistern dagegen erschienen stets über 25000.
Man musste etwas tun, um die Zuschauer enger an den VfL zu binden, dachte sich Wolfgang Hellmich. Er trug beim VfL den Titel Pressesprecher, das bedeutete, er erledigte von der Anzeigenakquise für die Stadionzeitung bis zur Herausgabe eines Vereinsbuchs alles, was entfernt mit Medien und Öffentlichkeit zu tun hat – und arbeitete im wirklichen Beruf als Ingenieur im Tiefbauamt der Stadt. Pressesprecher in der Bundesliga war ein Freizeitvergnügen.
Hellmich hatte eine Idee: Und wenn sie für die jungen Fans einen Klub organisierten, in dem sie sich auch außerhalb des Stadions regelmäßig trafen, in dem der VfL zum zentralen Punkt ihres Freizeitlebens wurde?
Als Hellmich auf der wöchentlichen Dienstagssitzung des VfL-Vorstands im Haus Frein seine Idee laut zu Ende gedacht hatte, erhob sich ein Gemurmel, das nur als Zustimmung gedeutet werden konnte.
So gründete Hellmich 1972 mit 20 jungen Fans im Presseraum des VfL den ersten Klub in Deutschland für Fußballfans. Er nannte sich simpel: der Fanklub. Die Mitglieder würden vom VfL freie Eintrittskarten bekommen. Damit die Fans bei ihren Treffen außerhalb des Stadions auch etwas zu tun hatten, würden alle zwei Wochen Spieler des VfL den Fanclub besuchen, beschloss Hellmich. Heinz Höher und sein Kapitän Hannes Walitza machten im November 1972 den Anfang. Sie kamen kaum in das Klublokal Die Beckporte hinein. Der Fanclub war im Nu auf über 300 Mitglieder gewachsen. Er pflegte auch schnell das große Palaver des deutschen Vereinswesens: Alle zwei Wochen fanden neue Vorstandswahlen statt. Heinz Höher und Hannes Walitza blieben über drei Stunden. Sie glaubten, sie müssten jede Frage beantworten, sie dürften nicht früher gehen, es ging doch um die Zuschauer.
In den folgenden Monaten erreichten den VfL Bochum Anfragen von Fans aus ganz Deutschland, und auch mancher Bundesligist wie Borussia Dortmund bat zu erfahren, was sie da mit den Fans machten, was das sei, ein Fanklub.
Die Zuschauer schossen Tore. Das war offensichtlich, man brauchte nur einmal anzuschauen, wie viel Prozent ihrer Punkte gerade die Mannschaften im hinteren Tabellendrittel im eigenen Stadion, mit ihren Fans im Rücken, sammelten, mindestens zwei Drittel ihrer Punkte.
Wussten sie, schärfte Heinz Höher seinen Spielern ein, dass kleine Fische sogar größere angriffen, wenn sie in ihrem Revier waren?
Die 1:4-Niederlage bei Eintracht Frankfurt an einem Dienstagabend im Oktober war »so ein typisches Spiel, welches bei gleicher Spielanlage und Form die Heimmannschaft gewinnt«, schrieb Heinz Höher in sein Trainingsbuch. Gegen ein Uhr in der Nacht war der Mannschaftsbus aus Frankfurt zurück am Haus Frein. Es brannte noch Licht im Gasthaus. Die Wirtsleute Hertha und Walter Czech warteten auf die Mannschaft, egal, zu welcher Uhrzeit sie zurückkehrte. Heinz Höher würde nur schnell noch zwei Bier und einen Klaren im Frein trinken, um besser einschlafen zu können. Er spielte bis fünf Uhr morgens Karten.
»Großer Fehler«, schrieb er in sein Trainingsbuch: »Alkohol. Ersatzspieler (Dewinski) mitspielen lassen und ihm Schlaf gestohlen. Ganze Woche schlechtes Gewissen.«
Doris Höher
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