Spieltage
freute sich gewiss nicht, wenn ihr Mann ein Spiel verlor. Aber sie fand ihn dann erträglicher. Die Niederlage machte ihn bescheiden, demütig; menschlich. Nach Siegen glaubte er immer, bescheiden und demütig tun zu müssen. Er wirkte immer nur unnahbar. Er meinte es gut, er wollte nicht großkotzig erscheinen. So versteckte er seine Freude. Aber so tat er den anderen weh, ohne es zu merken, indem er ihre Gratulationen wegwischte.
Zu Heimspielen ging Doris Höher ins Stadion. Sie verteilte Fläschchen Bommerlunder an die Frauen der Spieler, gegen die Nervosität. Auswärtspartien waren schwerer zu ertragen. Sie ließ das Radio aus, strickte und rauchte. Um Viertel nach fünf wartete sie auf das Klingeln des Telefons. Irgendjemand rief immer an, um sein Glück zu teilen, wenn der VfL auswärts ein achtbares Ergebnis erzielt hatte. Wenn um 17:25 Uhr das Telefon immer noch nicht geklingelt hatte, wusste Doris Höher Bescheid.
Manchmal kam ihr der Gedanke, dass es doch schön wäre, wieder arbeiten zu gehen. Die Kinder waren in die Grundschule. Aber sie wusste natürlich, dass es nicht möglich war zu arbeiten. Es musste in der Stadt falsch verstanden werden: Die Frau des Trainers geht wieder arbeiten; was macht der mit seinem ganzen Geld, dass er seiner Frau nicht ein ordentliches Hausfrauenleben ermöglichen kann?
5200 Mark im Monat verdiente Heinz Höher als Bundesligatrainer, 3000 mehr als noch vor zwei Jahren als Trainernovize in Essen, mehr als doppelt so viel wie zum Beispiel Heinz Formann als Sportchef. Als Konsequenz aus dem Bundesligaskandal hatte der DFB die scheinheiligen Gehaltsbeschränkungen für Lizenzspieler abgeschafft, die nur Schwarzgeldzahlungen gefördert hatten. Bundesligaspieler und -trainer waren nun richtige Profis. Alle erlernten noch einen Beruf wie Schreiner, Bankkaufmann oder machten das Abitur, bevor sie Profi wurden, aber kaum jemand arbeitete noch neben dem Bundesligafußball. Ein typischer Bundesligafußballer – kein Nationalspieler, aber einer, der jeden Samstag in seiner Elf stand – verdiente zwischen 5000 und 12000 Mark im Monat, auf dem Niveau zwischen Bankfilialleiter und Chefarzt. Zum ersten Mal konnte sich eine ganze Schicht Profifußballer wohlhabend fühlen. Und wenn sie sehr gut mit dem Geld umgingen, konnten sie sogar wohlhabend werden.
In den Zeitungsporträts begannen die Journalisten es als Kuriosität zu vermerken, dass der Trainer eines Bundesligisten noch für 392 Mark in einer simplen, engen Mietswohnung in der Kaulbachstraße wohnte. Sie wussten ja nicht, dass Heinz Höher wenig so sehr verabscheute wie den Aufwand eines Umzugs.
Das mit dem Kartenspielen musste aufhören, sagte Heinz Höher. Er meinte nicht das eigene Spielen, sondern das Pokern der Mannschaft am Spieltag. Einen Tag vor der Partie konnten sie sich im Trainingslager von ihm aus mit den Karten die Zeit vertreiben, aber am Tag des Spiels musste Schluss sein. Sie verbrauchten zu viel Konzentration, fürchtete Heinz Höher.
Das Problem war das alte: Einer verlor immer beim Kartenspielen, auch am Vorabend des Spiels, und wollte unbedingt weitermachen. Manchmal ging es um 200 Mark, manchmal um 1000. Am Morgen des Spiels gegen den VfB Stuttgart, im Herbst 1972, beharrte der Verlierer vom Vorabend auf einer Revanche. Erwin Galeski, Jürgen Köper und Hans Walitza suchten einen Ort, an dem sie sich vor dem Trainer verstecken und zocken konnten. Sie pokerten von 10 bis 13 Uhr in der Sauna des Hotels am Killesberg. Theoretisch war die Sauna abgeschaltet. Praktisch herrschte dort eine Resthitze von 40, 50 Grad.
Es herrschte Föhn in Stuttgart.
Mensch, Hannes, bist du auch so kaputt?, fragte Jürgen Köper Walitza zwei Stunden später beim Aufwärmen im Neckarstadion.
Gibt es gar nicht, stöhnte Walitza. Das ist doch ein Wetter hier!
Bochum verlor 0:4 in Stuttgart. Heinz Höher verstand nicht, warum in aller Welt sein Team so eingebrochen war. »Köper nicht in bester Verfassung«, schrieb er in sein Trainingsbuch, »Walitza hat als Kapitän versagt, keine Bewegung nach vorne. Galeski nicht wiederzuerkennen, kein Stellungsspiel, kein Dirigent, kein Fels.«
So manövrierte sich der VfL Bochum durch die Saison, gewann neun Heimspiele und verlor elf Auswärtsspiele und pendelte im sicheren Mittelfeld der Bundesliga umher. Die Jungen waren eine Entdeckung. Ata Lameck war ständig überall auf der linken Seite, meistens einen Tick schneller als der Gegner am Ball, er schien die Spielsituation schon zu
Weitere Kostenlose Bücher