Spieltage
sagte. So wie das letzte Mal, brummte er, wenn ihn Christa Jewers freitags um die Liste mit dem Aufgebot für das Auswärtsspiel bat, damit sie die Namen an das Hotel faxen konnte. Ist er überhaupt anwesend, fragte sich Christa Jewers.
Heinz Höher, an die Bürowand gelehnt, lauschte den Plaudereien der Fußballer und der zwei Christas durchaus mit Vergnügen. Er sah nur keinen Grund mitzureden. Mit den Minuten verschwand er in seinen eigenen Gedanken.
Große Männer – und Bundesligatrainer mussten große Charaktere sein – durften seltsam sein. Das nannte man mysteriös. Branko Zebec, der Bayern München 1969 erstmals nach 37 Jahren wieder zur Deutschen Meisterschaft geführt hatte, oder Ernst Happel, der mit Feyenoord Rotterdam Anfang der Siebziger den Europapokal der Landesmeister und den Weltpokal eroberte, hatten just vor Heinz Höhers Einstieg in die Trainerzunft den Eindruck erweckt, große Trainer sollten große Schweiger sein. Fasziniert versuchten die Sportjournalisten Zebec’ und Happels Stille zu interpretieren. Es musste ein Zeichen sein, dass sie permanent nachdachten, tüftelten. Und war das Schweigen nicht sogar ein bewusstes Mittel, um eine Mannschaft zu führen? Sie im Ungewissen zu lassen, was der Trainer dachte, hielt die Spieler permanent in Habachtstellung, hielt die Spannung und Konzentration hoch.
Heinz Höher überzeugte sich immer wieder selbst, dass ein Trainer lieber zu wenig redete als zu viel. So verbrauchte er sich nicht. Abends im Hotelzimmer, am Tag vor dem Bundesligaspiel, bekamen manche seiner jüngeren Spieler Panik, weil sie sich von ihm nicht genügend vorbereitet fühlten. Hans-Joachim Pochstein, vom BV Brambauer aus der Amateurliga nach Bochum gekommen, schüttete seinem Zimmerpartner Jürgen Köper das Herz aus: Mensch, ich soll morgen Linksaußen spielen, ich habe gar keine Ahnung, gegen wen ich da spiele, wie der spielt, ob ich bis zur Grundlinie dribbeln oder schon aus dem Halbfeld flanken soll.
Aber das hörte Heinz Höher ja nicht. Er fand, wenn sich einer in der Bundesliga durchsetzen wollte, könne er voraussetzen, dass sich der Spieler ohne große individuelle taktische Schulung zurechtfand. Er verteilte das Trikot mit der Nummer 11 an Pochstein und sagte mit einem Lächeln: Mach mal.
Die Spieler, gerade die jungen, hätten sich nie getraut, den Trainer von sich aus um Rat zu fragen. Sie waren am Anfang sogar unsicher, ob sie die älteren Mitspieler mit »Herr Walitza« oder »Hannes« ansprechen sollten. Den Trainer nach einem taktischen Rat zu fragen hätte wie Ungehorsam oder taktische Dummheit gewirkt, glaubten sie. Stattdessen versuchten sie, aus ihren Fehlern für sich selbst zu lernen. Als Frankfurts Bernd Nickel einen kurzen Pass spielte, rannte Hermann Gerland dem Ball hinterher, da bekam ihn Nickel im Doppelpass schon wieder zurück und schoss aus 35 Metern ein Tor. Das passiert dir nie mehr, das nächste Mal bleibst du bei deinem Mann stehen, schwor sich Gerland. Wenn der Trainer es ihm nur vorher erklärt hätte. Oder erklärten Bundesligatrainer so etwas nicht? Woher sollte er es wissen, er hatte immer nur den einen Trainer in Bochum.
Ottokar Wüst spürte durch Heinz Höhers Schweigen hindurch, dass der Trainer etwas zu sagen hatte. Während die Mehrheit Höhers Stille als Kälte oder Mysterium deutete, traf er in seinem Leben immer mal wieder jemanden, der von ihm fasziniert war, der seine Trainingsideen sah – Spiele auf vier Tore, Spiele in Intervallform – und ihn verstehen wollte. Präsident Wüst lud Heinz Höher sonntags, am Tag nach den Spielen, in sein Wochenendhaus in Haltern ein.
Ein Wochenendhaus in Haltern am See, nicht weit vom Chemiewerk Marl-Hüls, wo aber das Ruhrgebiet grün und lieblich schien, war ein Statussymbol des Ruhrpottbürgertums. Wüsts Frau Ingrid servierte das Mittagessen. Dann gingen die Männer am See spazieren.
Herr Wüst, wir müssen den Eia Krämer und den Reinhold Wosab abgeben.
Finden Sie wirklich, dass Wosab in der zurückliegenden Saison solch eine schlechte Figur abgegeben hat, fragte Wüst vorsichtig.
Er wird 35, er wird die Leistung nicht mehr lange halten können.
Hat es denn einen Vorfall gegeben?
Nein, nein.
Ottokar Wüst, nicht der Trainer, hielt beim VfL Bochum die Halbzeitansprachen, auch wenn sich das unter Heinz Höher gerade zu ändern begann. Der Präsident beobachtete gemeinsam mit dem Trainer potenzielle Neuzugänge. Anders als die meisten Bundesligapräsidenten verstand Ottokar
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