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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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dass sie zur Selbstbefriedigung keine Gegenstände einführte, sondern nur einen Zeigefinger verwendete oder sich an der Bettkante rieb. Ihrem Gesicht war anzusehen, dass der Dildo in ihrem Körper die Aussagekraft eines herzlichen Händedrucks erreichte. Trotzdem lächelte sie ein Lächeln, das er zum ersten Mal an ihr sah: glücklich.
    Kniend richtete Alev sich auf, um den rechten Arm freizubekommen, und erhöhte das Tempo. Sein Atem ging schneller, die Erschütterungen versetzten Adas ganzen Körper in Bewegung. Fast wurde er überwältigt von dem Wunsch, ein paarmal mit Kraft zuzustoßen. Der Schweiß, der sich an seinem Haaransatz sammelte, kam nicht von der körperlichen Anstrengung, sondern von verbissener Selbstbeherrschung. Als er sich über sie warf, lief ihm eine Träne den Nasenrücken hinunter und wurde sogleich von den Wollfasern ihres Pullovers gefressen.
    »Bestimmt kannst du dir vorstellen«, flüsterte er, »dass ich das lieber auf andere Art getan hätte.«
    Ein paar Tränen passten so gut zu diesen Worten, dass Alev ihr die Augen öffnen wollte, damit sie den zweiten Tropfen bemerkte, der gerade an seiner Nasenspitze verharrte und sich noch nicht zum Fallen entschließen konnte. Stattdessen streckte sie einen Arm aus, tastete sich an ihren Körpern hinunter und griff in seinen weichen, vollkommen entspannten Schoß.
    »Ein Hautsack«, sagte Alev. »Von Mutter Natur genäht, um ein paar Drüsen und Schläuche aufzubewahren.«
    »Ich habe dir das nie geglaubt«, sagte Ada rauh. »Das Schlimmste ist, dass ich es immer noch nicht glaube.«
    Der Dildo verursachte ein garstiges Geräusch, als er klappernd und hüpfend vom Bett auf den Boden schlug. Draußen donnerte es, das Gewitter war aus Köln zurückgekehrt. Auf Tonis Laken war ein Blutfleck. Alev öffnete die Packung Tempos und bestand darauf, Ada eigenhändig von den Resten der Creme zu säubern.
    Der trommelnde Regen hoch oben auf dem Dach erinnerte an das Vergehen von Zeit und damit an Toni. Wie in einem kaputten Klo rauschte das Wasser ohne Pause durch die breiten Regenrohre, und selbst das helle Spritzen auf dem Schulhofasphalt war bis in den sechsten Stock zu hören. Ada stieg in ihre Jeans, kickte den Dildo unters Bett, nahm von Alev eine brennende Zigarette entgegen und öffnete die Tür. Toni stand im unbeleuchteten Flur in einigem Abstand an die Wand gelehnt, aus seinem langen Haar floss Wasser über das Kunststoffmaterial der Jacke. Als ihm das Licht aus dem Türspalt vor die Füße fiel, schaute er auf und in Adas Gesicht.
    »Ist alles in Ordnung?«, fragte er leise.
    Er sah besorgt und traurig aus, alt wie ein Mensch am Ende eines vergeigten Lebens, das nichts bewiesen hat außer der Vergeblichkeit jeder Bemühung.
    »Toni«, sagte sie. »Könnte nicht besser sein. Das ist mein Ernst.«
    Seine Miene hellte sich auf, er warf das nasse Haar zurück und rieb sich das Gesicht, bis Alter und Enttäuschung verschwunden waren und er ihr ein pickliges, kaum gebrauchtes, gerade neunzehnjähriges Lächeln schenken konnte.
    »Ihr habt noch Tabak?«
    »Komm rein«, sagte Ada. »Dein Zimmer gehört wieder dir. Tut mir leid.«
    Er winkte ab.
    »Mit Sicherheit nicht deine Schuld.« Am Arm zog er sie auf den Gang und trat die Tür ins Schloss. »Ich bin nicht deine Mutter und wär's auch nicht gern. Aber eins muss ich dir sagen: Lass die Finger von dem Typen.« Toni deutete auf die Wand, hinter der Alev hockte wie eine Spinne im verschlossenen Karton. »Er ist verrückt. Ich teile das Zimmer mit ihm und weiß, wovon ich spreche. Hast du verstanden?« Auch im Dunkeln war klar, dass Ada einen Punkt auf seiner Stirn fixierte. Er legte ihr beide Hände auf die Schultern. »Schon zu spät?« Sie antwortete nicht. »Es ist schon zu spät«, wiederholte er, schüttelte bedauernd den Kopf, fasste hinter Adas Rücken nach der Klinke und schob sich und sie ins Zimmer.
    »Alter!« Alev lag auf seinem eigenen Bett, der Blutfleck auf Tonis Laken war verschwunden, Alev musste die Betttücher getauscht haben. Ada und er wechselten einen schnellen Blick, ein unmerkliches Nicken. »Alter, bist du nass. Setz dich, nimm dir 'nen Keks.« Er warf Toni den Tabaksbeutel zu, den dieser mit einer Hand aus der Luft fing, ohne hinzuschauen.
    Raus in den Regen. Adas Haare rochen nach Alev. Ihr Pullover und die Jacke, die er ihr geliehen hatte, rochen noch mehr nach Alev als Alev selbst. Der Stoff verdichtete seinen Geruch zu einer gefährlichen Essenz, von der ihr fast übel

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