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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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der letzte Schüler die Halle verlassen. Schönes Wochenende. Smutek verriegelte die Eingangstür. Ada saß mit übergeschlagenen Beinen, hatte keine Anstalten gemacht, sich anzukleiden, und versuchte, sich das Lachen an einer Schulter vom Mund zu wischen. Ihre Nervosität war verflogen, sie fühlte sich wohl auf eine übermütige Weise, die gar nicht zu ihr passte. Die Zigarettenkippe stak im Deckel einer Wasserflasche auf dem kleinen Tisch.
    »Ada! Hast du was genommen?«
    Auf Smuteks Stirn und Hals trocknete der Schweiß zu einer salzigen Kruste.
    »Genommen?« Sie ließ das Lachen frei, und beinahe hätte es ihn gegen seinen Willen angesteckt, weil eine lachende Ada ein seltener Anblick war. »Ich hatte kein Mittagessen und bin nach der Schule zwei Stunden wie verrückt im Kreis gerannt.«
    »Ach du Scheiße.«
    Engagiert kramte Smutek in seiner Sporttasche, glücklich, für den Moment eine Aufgabe zu haben. Es ging darum, den Unterzucker zu bekämpfen. Ada wirkte verändert, alle Spannung war von ihr gewichen, als hätten nur Pullover und Jeans ihren Körper fest und in Form gehalten, so dass sie jetzt, von einem Handtuch umwickelt, weich und knochenlos in sich zusammensank. Ihr übergeschlagenes Bein wippte im Takt einer lautlosen Musik, die rechte Hand schlenkerte kraftlos in der Luft, zwei Finger ausgestreckt, als ob sie eine unsichtbare Zigarette hielten. Die nassen Haare ringelten sich an den Spitzen, und noch immer wehrte sie sich gegen ein Lachen, das Smutek nicht verstand.
    »Hab ich schon aufgegessen.«
    Smutek warf die Tasche auf den Tisch und ließ die Arme sinken.
    »Ach so? Dann ist ja gut.«
    Eine Weile sahen sie sich an, und der Gesprächsstoff schien ihnen für immer ausgegangen. Adas Augen waren wie gewohnt auf sein Kinn gerichtet, hatten aber an Farbe gewonnen, das Grau war auf dem Weg Richtung Grün. Pflichtschuldige Sätze zogen wie Untertitel zu einem bilderlosen Film durch Smuteks Kopf, Ada, ich verstehe, dass Sie zur Anregung des Kreislaufs so schnell wie möglich. Aber ich kann es nicht dulden, dass Sie ungefragt. Für Sie gelten die gleichen Regeln wie. Ziehen Sie sich an!
    Während er das duschfeuchte Mädchen im dunkelblauen Handtuch betrachtete, geriet er plötzlich aus der Situation heraus, wurde wie durch ein Flugzeugfenster ins Freie gesaugt, sah von ferne sich selbst und Ada dicht beieinander in einer Umkleidekabine und begriff, dass es, von dieser Warte aus gesehen, nur eine Deutungsmöglichkeit für die Situation gab. Was sie da unsichtbar zwischen den Fingern hielt, war eine fiktive Zigarette danach. Der Gedanke krallte sich mit tausend Widerhaken in seine Hirnrinde und ließ sich keinen Millimeter mehr bewegen. Die Zeit ist eine Fläche. Einen Moment lang glaubte Smutek, er habe wieder einmal einen Sprung auf die falsche Ebene getan und nun gelte es, so schnell wie möglich den Ausgangspunkt wiederzufinden, wenn er nicht verrückt werden wollte. Plötzlich verspürte er den Drang, nach Höfi zu fragen, als gälte es zu testen, ob der Selbstmord sich wirklich ereignet hatte. Vielleicht würde sie verwundert zu ihm aufsehen: Wieso, Höfi geht's doch bestens?
    »Wie gehst du damit um?«, fragte er unvermittelt.
    Sie stand auf. Das war nicht, was er gewollt hatte. Das Handtuch reichte bis knapp unter die Rundung des Hinterns. Im Stehen gewann sie die gewohnte Präsenz zurück. Eine Haarsträhne hatte sich im Mundwinkel verfangen und wurde nicht beiseite gewischt. Sie schüttelte die rechte Hand, die imaginäre Zigarette flog ins Waschbecken. Smutek meinte, das Zischen im Abfluss zu hören.
    »Es widerstrebt mir, eine Floskel zu verwenden«, sagte sie, »aber sie passt perfekt. Höfi hätte nicht gewollt, dass wir ihm eine Träne nachweinen. Er wollte nur eins: Respektiert werden. Nichts anderes habe ich vor.«
    »Woher nimmst du diese Ruhe«, sagte Smutek leise. »Das muss doch eine Inszenierung sein.«
    Sie kam zwei Schritte näher: »Es ist nicht so, dass ich nicht traurig wäre.« Und schob beide Arme unter seine Achselhöhlen, umarmte ihn und legte die Wange an seine Brust.
    In Smuteks Kehle hatte sich ein Aufschrei gesammelt, der ihm als trockenes Stöhnen entfuhr. Die Arme schnappten nach Ada wie Fangeisen einer ausgelösten Falle und wollten den Anweisungen des Gehirns nicht mehr gehorchen. Als sie sich mit dem ganzen Körper gegen ihn lehnte, drückte sich sein Geschlecht, das schon fast über den Saum der Boxershorts hinausgewachsen war, in ihren Bauch. Ebenso heftig, wie

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