Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
Vom Netzwerk:
er nach ihr gegriffen hatte, wollte er sie von sich stoßen, aber sie hielt ihn fest, und ihre erstaunliche Kraft war das erste Detail der ganzen Szene, das ihn nicht überraschte.
    »Sssshhh«, machte sie, »sssshhh.«
    Er hatte nichts davon gewusst. Er gab sich in diesem Moment an diesem Ort ein heiliges Ehrenwort, dass er nicht die leiseste Ahnung gehabt hatte. Keine Vorboten, keine Anzeichen, keine Vogelformationen, keine schwarzen Katzen, kein Ziehen in der Magengrube, keine befremdlichen Phantasien bei der Masturbation. Vielleicht passte alles zusammen, vielleicht wurde gerade einiges klar, aber auf die Schnelle konnte er unmöglich herausfinden, wie die Dinge zusammenhingen. Ein neuer Sportplatz, sein schlafendes Schneewittchen, Teuter, Klinger, Klassenkon-ferenz, Alev El Qamar, ein toter Geschichtslehrer. Sicher war nur, dass das Verlangen ihm das Blickfeld rot färbte, das Herz klein und hart zusammenkrampfte und den Puls auf zweihundert Schläge pro Minute ansteigen ließ, und dass eine solche Gier nicht erst in dieser Sekunde erwacht sein konnte. Er musste sie lange mit sich herumgetragen haben, eingekapselt wie einen Dorn in der Hornhaut der Fußsohle.
    Während Adas Bauch den Druck seines Schwanzes erwiderte, entschied Smutek, sich bis hierher keine Vorwürfe machen zu müssen. Ohne Wissen kein Vorsatz, ohne Wissen nicht einmal Fahrlässigkeit. Er fühlte sich wie ein Bankräuber im Foyer, der, beide Hände in den Manteltaschen, den entscheidenden Satz noch nicht ganz auf der Zunge hat. Er konnte aufhören, und alles würde sein, wie es gewesen war. Smutek schob die Frage beiseite, ob er das wünschte, packte stattdessen Adas Hüften, die begonnen hatten, sich an den seinen zu reiben, und schob sie von sich. Sie ließ ihn los, das Handtuch fiel zu Boden.
    Er war davon ausgegangen, Frauen mit kleinen Brüsten zu bevorzugen. Sein Schneewittchen war mit einer knabenhaften Figur ausgestattet, die er als den Inbegriff von Eleganz und Würde empfand. Adas Oberkörper hingegen bat Smuteks Hände, ihm tragen zu helfen. Der Hocker fiel um, die Sporttasche entleerte kopfüber ihren Inhalt auf den Boden. Ada war rücklings gegen die offen stehende Plastikwand der Duschkabine geprallt und wäre gestürzt, wenn er sie nicht gleich wieder eingefangen hätte. Ihre Finger griffen in sein Haar, viel zu lang war es geworden, und zogen ihm den Kopf nach unten, sein Mund berührte ihren Hals, rutschte tiefer, der Bankräuber stützte die Ellenbogen auf den Tresen, er konnte jederzeit aufhören, es bedurfte nur eines einzigen, gewaltigen Willensaktes.
    Smutek hob sie auf die Arme, rannte mit ihr über den braunen Kachelboden des Flurs, durchquerte die Halle mit quietschenden Sohlen und legte Ada auf den hellblauen Mattenstapel. Sie war am ganzen Körper blond. Während er sich auszog, ließ er kein Auge von ihr, hielt sie im Blick, als könnte sie sich in Luft auflösen, wenn er auch nur für eine Sekunde zur Seite schaute. Als er nackt vor ihr stand, glaubte er, noch einmal davonzukommen, die Stand-by-Taste erwischt zu haben, sich umdrehen, die Waffe zurück in die Manteltasche schieben und einfach weglaufen zu können. Dann streckte Ada ein Bein aus und schob ihm einen Fuß zwischen die Oberschenkel.
    Sie war nicht feucht, das hatte er erwartet. Er spuckte auf die rechte Hand. Er verstand das Spiel nicht; inzwischen war es ihm gleichgültig. Als er in sie eingedrungen war, wusste er, dass er genau das gewollt hatte. Er wusste sogar, dass das, was soeben geschah, keinen Ausstieg bedeutete, sondern eine Möglichkeit schuf, sein bisheriges Leben weiterzuführen, heiterer, leichter, entspannt wie ein Serienmörder in den Tagen nach dem Verbrechen. Die Zeit, sich darüber klar zu werden, war begrenzt. Er wünschte sich Hände, viel mehr Hände, um Ada gleichzeitig halten und anfassen zu können, ihre Brüste, die, während sie auf dem Rücken lag, im eigenen Gewicht zu schwimmen begannen, den weich eingesunkenen Bauch, die runden Oberarme, sogar die kleinen Ohren, er wollte den ganzen Körper dieses perfekt in sich gelagerten Lauftiers an allen Stellen zugleich berühren. Sie war zu jung für Fehler jeder Art, sie war in einem Alter, da man noch Recht hatte, egal, was man tat. Es blieb sehr wenig Zeit. Während der letzten Stöße schaute er ihr ins Gesicht, ihre Züge still, wie gemalt vor dem himmelfarbenen Hintergrund, die Augen halb geschlossen. Genauso sah sie aus, wenn sie rannte.
    Als er den Kopf in den Nacken warf,

Weitere Kostenlose Bücher