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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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leichter. Das Schwungrad des Lebens drehte sich behäbig, es hatte durch den vergangenen Tag kaum eine Bremsung erfahren. Morgenröte behauptete besseres Wetter, die Vögel waren sogar durch geschlossene Fenster zu hören, es roch nach Kaffee, Frau Smutek tapste barfuß in der Küche herum und küsste ihn aufs Kinn. Frühmorgens ging es ihr immer am besten. Reifenzischen auf der Straße, Autoschlüssel, Vorglühen, Kälterauch am Mund, beschlagene Fenster. Bevor Smutek aufs Gaspedal trat, schrieb er mit dem Zeigefinger etwas in den kondensierten Dampf an der Windschutzscheibe. Ciebie nie zapomn^ - Dich werde ich nicht vergessen. Er stellte sich vor, wie der vom Gebläse aufgelöste Atemnebel seine Botschaft hinauftragen würde, an irgendeinen Ort, an dem Höfi sie lesen konnte.
    Alles läuft nach Plan. Smutek findet eine Möglichkeit, sein bisheriges Leben weiterzuleben T ch muss mit dir reden.«
    Nichts lief nach Plan. Ada hatte nicht vorgehabt, ihn zu duzen. Sie war nervös, und auch das stand nicht im Drehbuch.
    Um dreizehn Uhr fünf war die sechste Stunde zu Ende gewesen, Alev hatte sich den ganzen Tag nicht im Unterricht blicken lassen. Toni wusste nicht, wo er war, und verspürte keine Lust, mit Ada darüber zu reden. Um dreizehn Uhr zehn ließen die Zweifel sich nicht länger in Schach halten. Ada überlegte, ob sie vielleicht nur ein Rädchen in einem Getriebe war, das Antwort auf die Frage liefern sollte, zu welchen Absonderlichkeiten Alev die Menschen in seiner Umgebung bewegen konnte. Er hielt sich für eine Art Gott, und zu einem Gott hätte es gut gepasst, Ereignisse anzuzetteln und dann fernzubleiben, wenn es brenzlig wurde.
    Bis zum vereinbarten Zeitpunkt waren ihr fast drei Stunden geblieben. Sportzeug und Schuhe hatte sie eigentlich für den ersehnten Augenblick des Danach eingepackt. Sie ließ sich Zeit auf dem Weg zur Tartanbahn, lief zwei Stunden mit voller Kraft und kehrte strauchelnd vor Hunger und Entkräftung zum Schulgebäude zurück. Alle paar Sekunden verengte sich das Blickfeld von den Rändern her, als würde um ihren Kopf herum ein schwarzer Samtsack zugezogen.
    Um Viertel vor vier hatte sie sich gegen den großen, quadratischen Griff gelehnt, die Tür war aufgeschwungen. Einen Moment zögerte sie auf den Eingangsfliesen und hätte ihr Ohr gern ans Schlüsselloch der Werkzeugkammer gelegt, um herauszufinden, ob Alev wie besprochen zwischen Sandrechen, zusammengeklappten Biertischen und Rasenmähern kauerte. Aber sie hatte keine Zeit, sie stand kurz vor einem Kreislaufzusammenbruch. Zu erschöpft, um vorsichtig zu sein, stolperte sie den Gang zur Lehrerkabine hinunter, stieß die Tür auf, warf den Rucksack in eine Ecke und riss sich die verschwitzten Klamotten vom Leib. Wenn sie ohnehin eine halbe Stunde in der Duschkabine zu warten hatte, konnte sie auch gleich duschen.
    Das abwechselnd heiße und kalte Wasser holte sie in die Wirklichkeit zurück. Smuteks Duschgel roch intensiv nach Mann und hatte weniger zu erzählen als Alevs aufdringlicher Duft. Zwanzig Minuten später drehte sie das Wasser ab. Im Seitenfach von Smuteks Sporttasche fand sie zwei Eiweißriegel. Sie zerriss das Silberpapier mit beiden Händen und verzehrte den Inhalt fast ohne Kauen.
    Smutek prallte förmlich zurück, als er sie auf dem Hocker neben der Duschkabine sitzen sah, in sein großes, dunkelblaues Badetuch gewickelt, mit nassem Haar, das ihr schräg über der Stirn und an den Seiten des Halses klebte, eine brennende Zigarette im Mundwinkel. Solange die Stimmen aufräumender, duschender, sich anziehender Schüler überall zu hören waren, hatte sie nicht mit ihm gerechnet. Weil ihr auf die Schnelle nichts Sinnvolles einfiel, sprach sie jenen albernen Satz:
    »Ich muss mit dir reden.« Die Zigarette hüpfte beim Sprechen.
    »Bist du verrückt geworden!«, zischte Smutek, zog hastig die Tür ins Schloss und beruhigte sich wieder. Sie hatte Ringe unter den Augen und sah elend aus. »Ist was passiert?«
    Erst klang die Frage vernünftig, im Nachhall bekam sie einen ironischen Beigeschmack, der Ada jeder Antwort enthob. Es war beileibe genug passiert, das bedurfte keiner weiteren Klärung.
    »Warte hier.«
    Smutek griff den Schlüssel zu den Ballschränken vom Tisch. Als er den engen Raum schon fast wieder verlassen hatte, vollführte er eine resignierte Geste: Ich weiß doch auch nicht mehr, was zu tun ist! Dann war er weg, sammelte Bälle ein, überwachte den Netzabbau in der Sporthalle. Um kurz vor fünf hatte

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