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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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sein Äußeres in jedem spiegelnden Stück Glas. Er sah aus wie immer. Das menschliche Wesen war eine einzige Maskerade. Während er den Wagen anließ, sandte er im Geiste ein Briefchen an Höfis neue Adresse im Historikerhimmel und bedankte sich dafür, dass er durch seinen spektakulären Abgang einen Vorwand für desolate Zustände, Übermüdung und Geistesverwirrtheit geliefert hatte. Das würde notfalls auch größere Aussetzer erklären. An jeder Kreuzung musste Smutek überlegen, in welche Richtung er abzubiegen hatte.
    Seit Internet und Counterstrike vollzieht sich das Böse vor allem in Netzwerken
    A nstelle des üblichen Guten-Morgen-die-Herrschaften sprach Smutek in jeder Klasse ein paar Worte, die er sich im Auto zurechtgelegt hatte und die ihm, kaum in Gebrauch, wie Karamellbonbons zwischen den Zähnen klebten. Höfi war seit fünf Tagen tot, und es gelang immer noch nicht, ohne Kupplungsgeräusche zur Tagesordnung überzugehen. Ein Mensch war verschwunden, ausgelöscht, noch für kurze Zeit am Rockzipfel gehalten von Erinnerungen, deren Zugriff er sich bereits zu entwinden begann, wie ein Vater sich den schwachen Händen kleiner Kinder entzieht, die verzweifelt seinen Abschied verhindern wollen. Während Madrid längst am Stammtisch prominenter medialer Ereignisse saß, hinterließ Höfis Tod eine große Abwesenheit. Das Nichts bezog für ein paar Tage Posten vor den Toren von Ernst-Bloch.
    Ada und Alev traf Smutek erst am Dienstagmorgen. Ruhig saßen sie zwischen den knisternden und knirschenden Klassenkameraden und wirkten auch ohne Trenchcoats und Sonnenbrillen wie Agenten einer fremden Macht. Smutek hatte Professionalität erwartet und war dennoch beeindruckt. Keine zweideutige Bemerkung, kein anzügliches Lächeln, kein wissender Seitenblick. Der Unterricht verlief ohne Störung. Was immer sie planten, er konnte sich auf chirurgische Sauberkeit verlassen. Das erleichterte ihn. Jeder normale Mensch lässt sich lieber im Rahmen eines wohlorganisierten Duells umbringen als durch einen Meuchelmord.
    Während er am Nachmittag die Laufgruppe in der Halle trainierte und die Gymnastikmatten zum Einsatz brachte, um gleich einem gestürzten Reiter ohne Zögern wieder in den Sattel zu steigen, warteten Ada und Alev an einer verschlossenen Metalltür im Kellergeschoss unter Ernst-Bloch. Der Erzieher Erich kam pfeifend und schlüsselklimpernd die Betonstufen hinunter, gab Alev High-Five und öffnete einen Raum, der die Fläche mehrerer Klassenzimmer umfasste. Die Wände waren kahl bis auf ein schlecht verschraubtes Baumarktregal, in dessen Fächern dickleibige, notorisch veraltete Computerhandbücher übereinander fielen. Dreißig weiß furnierte Tischplatten reflektierten das Licht der Neonröhren. Plastikbecher mit Kakao- oder Kaffeeresten standen am Boden, die Luft roch nach erwärmten Kabeln, Verpackungsmaterial und alten Computergehäusen. Die quadratischen Fenster unter der niedrigen Decke waren nur mit speziellen Vierkantschlüsseln zu öffnen. Manchmal ging draußen ein Paar Schuhe vorbei, die spitzen Cowboypumps einer Vierzehnjährigen, die Lederschuhe eines Oberstufenschülers oder die unverschnürten Springerstiefel eines der Ohren auf dem Weg zum angrenzenden Fahrradkeller. Wenn Olafs Bass bei den Proben die Rückwand des Computerraums zum Zittern brachte, zogen die Schüler ihre Kopfhörer aus den Rucksäcken, stöpselten sie in die Audioausgänge der Tower und drehten die Lautstärke auf.
    Wie immer war der Computerraum außerhalb des Informatikunterrichts schlecht besucht. Alev durchquerte den Canyon aus Tischreihen und wählte eins der hinteren Geräte, deren Bildschirme der Wand zugekehrt standen. Ein paar weitere Schüler, die zu Hause mit Hilfe einer ISDN-Anlage zum Begleichen der eigenen Telefonrechnungen gezwungen wurden, ließen sich vor den Flachbildschirmen der Pentium-4-Rechner im vorderen Bereich nieder und suchten dabei den größtmöglichen Sicherheitsabstand voneinander, wie Zuschauer im leeren Kinosaal. Kaum drangen Rockets Gitarrenläufe aus dem Fahrradkeller herüber, saßen kugelige Kopfhörer an den Schädelaußenseiten. Ada zog einen kreischenden Stuhl hinter sich her und fläzte sich halb liegend in Alevs Nähe, ohne dem hochfahrenden Rechner viel Beachtung zu schenken. Das Internet interessierte sie nicht.
    Es war voll gestopft mit Variationen auf die drei immer gleichen Menschheitsthemen Liebe, Geld und Krieg. Ihrer Meinung nach entstanden neuartige und weiterführende Ideen

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