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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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Bildmaterial ausgerechnet hierher getragen hatte, um es im Internet zu verstecken. Er bediente eine aktuelle Wahnvorstellung und war dabei, den allgemeinen Schrecken in seinen Reihen marschieren zu lassen.
    Spätestens seit der ersten Folge der Matrix war jedermann bekannt, dass sich das Böse in die Softwarewelt auslagern ließ wie Sondermüll nach Osteuropa. Bits und Bytes, Viren und Bugs sollten sich bis in alle Ewigkeit im Rahmen eines virtuellen Stellvertreterkriegs gegenseitig abschlachten. Die neue Hölle bestand aus Licht, Stahl, Lack und Leder, während der freie Teil der Menschheit in den Urschlamm eines unterirdischen Paradieses abgewandert war. Deshalb wurden erhebliche Anstrengungen darauf gerichtet, die Gewalt im Inneren des Netzwerks zu halten. Nicht der kleinste Erreger, nicht der unscheinbarste Agent durfte die abgesperrten Reservate der digitalisierten Welt verlassen. Die Schotten gehörten dicht gemacht, alle Löcher gestopft, damit das Schlechte nicht in den Leib eines Unschuldigen kriechen konnte, um mit Pumpgun oder Motorsäge einen Amoklauf zu begehen. Erich, ein neues Gesetz oder eine behördliche Prüfstelle stellten sicher, dass die Wirklichkeit gut, das Internet böse und die Verbindungen zwischen beiden möglichst unpassierbar waren.
    Weil Ada und Alev keine Kopfhörer trugen und den Computer gemeinsam bedienten, was eindeutig gegen einen Egoshooter sprach, ließ Erich sie in Ruhe. Sie lächelten und winkten, während dicht vor ihren Nasen die maximal vergrößerte Aufnahme von Smuteks erigiertem Geschlechtsteil den Bildschirm füllte. Die Tür fiel ins Schloss. Alev lud die erstellte Datei über das FTP-Programm auf den Server.
    »Und jetzt probierst du es aus.« Er rollte mit dem Stuhl zurück, während Ada auf der Homepage von Ernst-Bloch das ReadMe-Verzeichnis aufrief und das geforderte Passwort eingab. Das Körper-Sandwich auf himmelblauem Untergrund breitete sich über den Bildschirm aus.
    »Perfekt«, sagte Alev. »Die Methode garantiert, dass nicht mal unsere Webmasterin die Datei öffnen kann.«
    »Alev.« Ada starrte versonnen auf den Bildschirm, bis er vor ihren Augen zu einer Ansammlung von Farbflecken verschwamm. »Du wirst es nicht hören wollen, aber ich habe immer noch nicht verstanden, was wir hier tun und warum.«
    Er warf sich auf dem Stuhl nach vorn und schlug beide Hände flach auf den Tisch, dass Maus und Mauspad klappernd miteinander hüpften. Ein Kopfhörerträger schaute zu ihnen her.
    »Verdammt«, rief Alev in seine Richtung, »schon wieder daneben!«
    Dann senkte er die Stimme. Das vordere Glied seines Zeigefingers bog sich zurück, als er die Kuppe gegen das Display drückte und einen weißen, beweglichen Fleck direkt über Adas Gesicht hinterließ.
    »Das hier wäre früher oder später sowieso passiert. Hätten wir es nicht in Szene gesetzt - jemand anderes hätte es getan, oder, noch schlimmer: Niemand. Wenn das Schicksal waltet, kommt für den Menschen nichts dabei heraus.«
    »Und jetzt ist etwas dabei herausgekommen?«
    »Selbstverständlich!« Alev schnitt eine unfreiwillige Grimasse, um nicht laut zu werden. »Es schmerzt mich zu sehen, wie dein Verstand sich kleiner macht, als er ist. Du kriegst noch geistige Haltungsschäden. Geh aufrecht, Kleinchen!«
    Sie musste lächeln, und er fing dieses Lächeln auf und gab es zurück, bevor es sich verstecken ließ.
    »Es bleibt die Frage, wer oder was uns das Recht gibt, Smutek zu einem Spiel zu zwingen.«
    »Ist das eine moralische Frage?«
    »Wahrscheinlich.«
    »Dann wird es mir schwer fallen, darauf zu erwidern. Versuchen wir es mit einer Betrachtung von Smuteks Situation. Ab heute sieht er sich einem Sanktionsmittel gegenüber, es befindet sich hier drin.« Wieder klickte Alevs langer Fingernagel auf die Kunststoffoberfläche. »Es kann als Strafe für Fehlverhalten jederzeit eingesetzt werden. Nun lehrt uns die Spieltheorie, dass erst bei iterativen Wiederholungsfolgen die Angst vor dem Gegner zum Tragen kommt und die Gelegenheit zur Kooperation entsteht. Ansonsten existiert nur Verrat. Daraus folgt, dass nur durch eine drohende Sanktion echte Entscheidungsmöglichkeiten eröffnet werden.«
    »Du willst damit sagen, dass wir Smutek zu seiner persönlichen Freiheit verhelfen?«
    »Es war nicht dumm von Gott, sich als rachsüchtiges Wesen zu konzipieren. So erschuf er den menschlichen Willen, an dem die Philosophen sich die Zähne ausgebissen haben, bis sie schließlich die Lust verloren. Smutek wird das

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