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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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Ausklang des Mittelalters ins Exil gegangen.«
    Während er sprach, tippte er das Passwort in die vorgesehene Zeile, sechs Sternchen, die verbargen, was der Computer sah. OK. Auf der rechten Seite des geteilten Fensters erschien der Baum einer Verzeichnisstruktur. Alev erschuf einen neuen Ordner und taufte ihn >ReadMe<.
    »So einfach«, sagte er. »Fertig ist die Seemannstruhe.«
    »Nicht vergraben?«
    »Unnötig.« »Verschließen?«
    »Die Truhe kann man nicht verschließen. Aber uns ist eine Lösung eingefallen, um ihren Inhalt zu verschlüsseln.«
    »Uns?«
    Alev legte die Hände in den Schoß, drehte seinen Stuhl zu Ada um und betrachtete sie eindringlich wie ein Seelendoktor.
    »Was glaubst du, woher ich das Passwort habe? Dieser Code ist Zepter und Reichsapfel im Minikönigreich einer Internetseite. So etwas bekommt man nur auf einem Weg.«
    Ada beugte sich halb über ihn und griff wie beim vierhändigen Klavierspiel in die Tasten. Die Homepage der Schule entfaltete ihr frohes Orange, durchsetzt von intellektuellem Grau. Webmaster: Mail to Linda88.
    »Gleicher Jahrgang wie ich.«
    »Ich liebe unsere Generation«, sagte Alev. »In Kürze werden fünfzehnjährige SAP-Spezialisten die Produktionsabläufe bei Mercedes-Benz koordinieren.«
    »Liebt sie dich?«
    »Klar.« Er schob Ada beiseite und setzte sich wieder vor den Flachbildmonitor. »Du wirst noch begreifen, dass es das Zusammenspiel unserer Fähigkeiten ist, das uns unbesiegbar macht. Hast du übrigens Poe gelesen?«
    »Sicher. Schon verstanden. Niemand guckt in ein Verzeichnis, das ReadMe heißt.«
    »Zusätzlich benutzen wir das einfachste Codierungswerkzeug der Welt. Das gab es schon unter Word 6.0.« Er öffnete eine frische Datei, gab ihr ebenfalls den Namen ReadMe und aktivierte den Zugriffsschutz unter einem Kennwort. SPIEL TRIEB. »Unsere Erinnerungsphotos binden wir als Graphik in die Datei ein. Festhalten, es geht los.«
    Ada neigte sich vor und klemmte die Hände zwischen die Oberschenkel. Den Standort zum Photographieren hatte Alev gut gewählt. Smutek war ohne weiteres zu erkennen, auch wenn er auf ihre Brüste starrte und ihm das Stirnhaar über die Augen fiel. Ada selbst war eine Landschaft aus Haaren, Wangen, Bauch und Schenkeln, alles breit gezogen von der Schwerkraft, der Kopf wie bei einer Ohnmächtigen zur Seite gerollt. Eine mattschimmernde Fleischpfütze auf blauem Untergrund, Ada fand sich hässlich. Auf dem nächsten Bild hatte Smutek sich aufgerichtet und schaute direkt in die Kamera. Seine Arme waren angespannt, der Oberkörper zeigte eine rippige Licht-und-Schatten-Struktur, der Brustkorb war gebläht und aufgeworfen.
    »Stört dich der Anblick?«
    »Am schrecklichsten sollte wahrscheinlich sein, dass nichts daran mich erschreckt.«
    Ada hatte eine Hand auf die Maus gelegt und klickte sich durch den Rest der Sammlung. Mit dem Fleischklumpen auf den Photos hatte sie ebenso wenig zu tun wie mit ihren eigenen Erinnerungen, und weil sie sich kannte, wusste sie, dass die fehlende Kongruenz zwischen Sein und Gewesen nicht dem Bedürfnis nach Selbstschutz, sondern eher einem technischen Problem entsprang. Kaum war ein Geschehen durchlebt, wurde es kalt und fremd wie ein kurzzeitig geborgtes und wieder abgelegtes Kleidungsstück.
    »Hast du vor«, fragte Ada, »dir auf die Bilder einen runterzu-holen?«
    »Soll das eine Fangfrage sein?«
    Sie lachten.
    »Was mich an den Photos am meisten betört«, sagte Alev, »ist die Tatsache, dass sie nichts anderes zeigen als jeder durchschnittliche Pornofilm. Der Akt unterscheidet sich in nichts von seinen milliardenfachen Vorgängern und ebenso vielen künftigen Nachfolgern, egal, ob von Profis oder Anfängern vollzogen. Daran siehst du, Kleinchen, warum man die körperliche Liebe zum Teufelswerk erklärte: Sie macht die Menschen gleich, mehr als Menschenrechte, Länderfinanzausgleich und Frühjahrskollektion. Und Gleichheit ist, entgegen aller Beteuerungen, durchaus nicht erwünscht.«
    Geistesabwesend schaute Ada Richtung Tür, in der Erich erschien, um sich wie jeden Tag zu vergewissern, dass niemand sich von Counterstrike oder einem anderen Egoshooter zum Partisanen, Selbstmordattentäter oder Alltagspsychopathen ausbilden ließ. Der Erzieher kam als Repräsentant der törichten Menschheit, die seit neuestem glaubte, das Böse brüte vor allem in Netzwerken. Sein pflichtbewusster Rundblick über die nächstgelegenen Monitore reizte Ada zum Lachen. Langsam begriff sie, warum Alev sein

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