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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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leichtfüßig, die Mutter mit angestrengten Bewegungen, als müsste sie die Luft wie einen harzigen Brei mit Armen und Beinen beiseite schaufeln. Ada fühlte sich, als brächen sie zu einer Veranstaltung auf, die allein für sie arrangiert wurde, während die Mutter ihr zuliebe als Begleitung mitkam. Seit zwei Jahren freute Ada sich auf die Scheidung. Sie sollte das erstarrte Warten beenden, von dem niemand mehr wusste, worauf es gerichtet war.
    »Wenn es nur schon vorbei wäre«, sagte die Mutter, während sie den Mantel überzog.
    »Das wird vorbeigehen wie ein Besuch von Handwerkern«, sagte Ada.
    Sie war stolz, als die Mutter mit einem Lachen die Wohnungstür hinter sich schloss.
    Bei Gericht arbeiten Menschen mit Menschen
    D ie Anwälte liefen sich mit ausgestreckten Händen entgegen, hallo, Herr Kollege!, und lachten schon miteinander, bevor die Parteien ein Wort der Begrüßung tauschen konnten. Das ist ein Wetter! Wer trägt da noch Trauer? Die Totengräber und die Juristen. - Der eine hatte die Robe über dem Arm gelegt wie ein Saunabesucher den Bademantel, der andere flatterte bereits schwarzflügelig durch die Gänge. Mann und Frau gaben einander mit gesenkten Gesichtern die Hand.
    Hey, Brigadegeneral.
    Während Ada den Stiefvater umarmte, schoss ihr die Frage durch den Kopf, ob sie die einzige Person sei, von der er noch angefasst wurde, abgesehen von ein wenig Mietliebe an den Wochenenden.
    Kleines, du siehst besser aus denn je. - Danke, mir geht's auch gut.
    Ada spürte sich strahlen, plötzlich schwiegen die Anwälte und sahen zu ihr herüber. Die Sache wurde aufgerufen, der Brigadegeneral steckte die Zigaretten, von denen er hatte anbieten wollen, ins Jackett zurück. Von hinten sahen die Eltern gut aus, aufrecht, schlank, beide noch jung. Wenn sie bei Gelegenheit, jeder für sich, über den Beginn ihrer verflossenen Beziehung sprachen, verwendeten sie Worte wie große Liebe, amour fou, unglaubliche Romanze. An ihren richtigen Vater konnte Ada sich nicht erinnern.
    Sie blieb an der Tür stehen, deren Klinke auf Brusthöhe angebracht war. Vom anderen Ende des Gangs schallte Gepolter und Getöse herauf, das Donnern schwerer Stiefelschritte, Männerstimmen, die wie das Bellen von Hunden klangen. Im Saal wurde auch die Richterin mit Scherzen begrüßt, sie lachte und strich sich die roten Locken aus der Stirn. In dieser Versammlung gab der Brigadegeneral mit seinen fünfundvierzig Jahren den Alterspräsidenten. Neben ihm wirkten die Angestellten Justitias wie eine Studentengruppe vor dem Hörsaal. Sie nahmen ihre Plätze ein, verteilten rote Gesetzbücher und Aktenmappen auf den Tischen, und Ada begriff, dass sie Kollegen waren, sich von der Uni kannten, einander mochten oder nicht. Sie arbeiteten im selben Betrieb, in den Fälle eingeklinkt wurden wie Maschinenteile in eine Fertigungsstraße. Nichts daran war Zauberei.
    Das Gepolter kam näher. Von ihrer Position aus konnte Ada in die Halle sehen, in der Treppen und Fahrstühle ankamen und alle Flure sich kreuzten. Justizbeamte führten zwei Jungen in ihrer Mitte, die nicht viel älter als Ada waren. Sie trugen Handschellen, warfen die Oberkörper nach links und rechts, traten im Gehen nach den Schienbeinen ihrer Begleiter, und gerade als sie den Gang passierten, in dem Ada stand, ließ sich einer auf den Boden fallen, rollte ein paarmal auf dem Rücken hin und her und machte sich schwer, als sie ihn unter den Armen fassten und wieder auf die Beine stellten. Hör doch auf mit dem Scheiß! Fast wären sie alle miteinander gestürzt. Die langen Haare des Jungen hatten sich aus dem Zopfgummi gelöst, mit den gefesselten Händen konnte er sie nicht zurückstreichen. Er ruckte spastisch mit dem Kopf und sah dabei aus wie Rocket, wenn er ein Gitarrensolo spielte. Ada erschrak, als ihr Blick sich mit dem des Jungen kreuzte. Da war eine Art Einverständnis, er teilte ihr etwas mit. Ordnung und Unordnung, schien er zu sagen, die in der Arena dieses Gebäudes miteinander kämpfen, rekrutieren ihre Krieger in denselben Reihen. Vielleicht hätte er es ein wenig anders ausgedrückt. Alles Schweine!, rief er jetzt.
    Aus einem Grund, der sich Ada nur langsam erschloss, lag etwas Verstörendes in dieser Einsicht. In ihrer Vorstellung waren Richter Vertreter eines Prinzips, Endpunkte einer kollektiven Funktion, Saugnäpfe auf den Tentakeln des Gemeinwesens. Vorgeführte Häftlinge verbrüderten sich nicht mit zufälligen Zeugen, Staatsanwaltschaft und Verteidigung

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