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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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Unterhaltsleistungen an Ihre Mutter enthalten gewesen sei, von ihr aber nicht weitergeleitet würde.«
    »Wo nichts ist, kann auch nichts enthalten sein!«, rief die Mutter.
    »Ihre Meinung haben wir bereits gehört.« Die Richterin wandte sich wieder an Ada. »Deshalb habe er die Summe an Sie ausgezahlt, damit die Schule ihr Geld bekommt.«
    Wofür der Brigadegeneral sein Geld ausgab, wusste Ada nicht, und der Gedanke, dass er etwas damit machte, wofür er sich schämte, brachte sie aus dem Konzept. Die gute Laune von eben war schlagartig vergangen. Über Ernst-Bloch hatte sie nicht sprechen wollen, Ernst-Bloch hatte in diesem Saal nichts zu suchen. Plötzlich drängten Teuter, Smutek, Höfi, Odetta und eine Menge gesichtsloser Personen in den Raum.
    »Wollen Sie unterstellen, dass Ihre Tochter das Geld unterschlägt?«
    Der Blick des Brigadegenerals traf Ada ein zweites Mal, ein blaues Flackern, wie das kurze, tonlose Aufblitzen einer Polizeisirene.
    »Nein«, sagte er.
    Wenn Ada eine seiner typischen Gesten hätte beschreiben müssen, hätte sie den Griff der linken Hand in die Hosentasche gewählt, in der sich stets ein zusammengerolltes Bündel bunter Geldscheine befunden hatte. Solange er nicht in Uniform war, trug er Anzüge, die wie angegossen auf dem Leib saßen, mit ausreichend Luft für ein plötzliches Lossprinten oder eine überfallsartige Umarmung. Ada hatte immer geglaubt, dass er ausreichend verdiente.
    »Das ist ein Fall für den Staatsanwalt!«, rief der Rechtsbeistand der Mutter.
    »Spielen Sie sich nicht auf«, sagte der andere scharf.
    Für ein paar Minuten Gerichtssaaltheater ließ sich die Freundschaft ohne weiteres suspendieren, das gehörte zur Professionalität. Schon wieder zogen sich schwarze Spuren über die Wangen der Mutter, Ada hatte nie verstanden, warum sie keine wasserfeste Wimperntusche benutzte. Vielleicht gehörte auch das zur Inszenierung. Der Brigadegeneral trommelte mit Fingern, die gelenkig wie die eines Klavierspielers waren, auf die Kante der Beklagtenbank. Ada fühlte sich als einziger denkender Mensch zwischen Haufen von Biomasse, in denen Herzen und Hirne auf Hochtouren arbeiteten, Drüsen pumpten, Muskeln zuckten. Als sie kräftig schluckte, blieb ein Brennen von Säure im Hals zurück. Die Mutter hatte endlich ein Taschentuch gefunden, rieb erst über die eigenen Wangen, dann über die Tischplatte und die unordentlichen Stapel bedruckten Papiers.
    »Wirst du mich für einen schlechten Menschen halten?«, fragte der Brigadegeneral.
    Peinlichkeit knisterte in allen Ecken, die Juristen versteckten ihr Lächeln, sie waren Schlimmeres gewohnt. Weil niemand sprach, ergriff Ada, im Zeugenstand ausgestellt wie am Pranger, erneut das Wort.
    »Wenn ich dich zitieren darf«, sagte sie. »Gut und schlecht wurden vor hundert Jahren abgeschafft und durch funktionsfähig und nichtfunktionsfähig ersetzt. Werte sind zu Kriterien und die Moral zu einer Industrienorm geworden. Erinnerst du dich?«
    »Ich erinnere mich.« Er lächelte schon wieder.
    »Très bien. Was du ihnen aufgetischt hast, war nichtfunktionsfähig.«
    »Du warst schon immer klüger als alle anderen Kinder«, sagte der Brigadegeneral.
    Adas nächste Erwiderung schnitt die Richterin ab.
    »Hätten wir das geklärt«, sagte sie laut. »Ich möchte Sie, Ada, noch darauf hinweisen, dass auf eine so teure Ausbildung von Gesetzes wegen kein Anspruch besteht.«
    Ein paar Sekunden herrschte Schweigen, selbst die Heizung legte eine Pause ein.
    »Beunruhigen Sie sich nicht«, sagte Ada schließlich. »Es gibt immer Mittel und Wege.«
    Während die Richterin dem Diktiergerät erklärte, dass die Beweisaufnahme abgeschlossen sei, wuchs in Ada das Bedürfnis, noch etwas zu sagen. In Höfis Stunden hatte sie gelernt, dass es Spaß machte, Ideen aufzuwirbeln, die sonst wenig beachtet am Grund des Bewusstseins lagen. Nun gab es keine Stunden bei Höfi mehr.
    »Habe ich Anspruch auf ein letztes Wort?«
    Diesmal zog die Richterin nur eine Augenbraue in die Höhe und den gegenüberliegenden Mundwinkel nach unten. Ihre Mimik war beweglich wie bei einem Kabarettisten.
    »Nein. Aber wenn Sie sich kurz fassen, dürfen Sie reden.«
    »Vorhin auf dem Gang ist mir klar geworden, dass Sie hier Archäologie betreiben. Sie kommen mir vor wie jemand, der es bei einem Skelett mit Herzmassage und Mund-zu-Mund-Beatmung versucht. So ein Urteil muss eine nekrophile Handlung sein. Oder drücken wir es weniger morbid aus: Sie brüllen Kriegsrufe über

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