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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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Kamera beschäftigt zu sein, »durchhalten!«
    Gleich nach dem Schlüsselklimpern hatte Smutek sich beim linksseitigen Klappmesser noch ein Stück weiter gedreht, so dass er aus dem Augenwinkel hinter sich blicken konnte. Auch Ada geriet für einen Moment aus dem Takt, riss sich zusammen und ließ ein lautes Stöhnen hören.
    »Ja nee, Herr Smutek!« Teuters Froschstimme suchte den Weg zur Decke hinauf, versagte und fiel wie ein flügellahmer Vogel herab. Smutek machte noch zwei Klappmesser, bevor er innehielt, sich auf den Boden stützte und umwandte. Zwei Meter neben ihm ließ Ada sich auf den Rücken sinken und breitete die Arme auf dem kühlen Hallenboden aus, als wollte sie mit dem ganzen Körper Adler oder Engel in eine Schneedecke zeichnen.
    »Herr Direktor«, sagte Smutek. Die Farbe war aus seinem Gesicht gewichen, die Mundwinkel zuckten, und die Augen, schwach wie Fäuste beim Erwachen nach langem Schlaf, konnten kein Ding länger als eine Sekunde im Blick behalten. Widerstreitende Gefühle rannten wie Böcke mit gesenkten Hörnern aufeinander los, und Smutek saß einfach da, betäubt vom Lärm in seinem Inneren.
    »Was«, sagte Teuter heiser, »machen Sie hier?«
    »Wir trainieren für die Kreismeisterschaft«, sprach Alev vom linken Bühnenrand.
    »Sie ...!« Teuter war anzusehen, dass er sich mühsam vom Fluchen abhielt. »Sie habe ich nicht gefragt.«
    »Und Sie müssen der neue Geschichtslehrer sein«, sagte Smutek. Ein breites Grinsen vertrieb das Entsetzen aus seinem Gesicht. »Willkommen auf Ernst-Bloch!«
    Hauser starrte verständnislos auf die Szenerie, wie einer, der sich im Kinosaal vertan hat, und hob flüchtig die Hand, als grüßte er aus einem fahrenden Wagen.
    »Und was zum Teufel ist das?«, fragte Teuter, auf die Kamera zeigend.
    »Haben Sie jetzt mich gefragt?« Mit einem bestrumpften Fuß hob Alev affengleich den Objektivdeckel vom Boden und schloss das starre Auge.
    »Geben Sie Antwort!«
    »Das ist eine Canon Eos 300 D«, sagte Alev. »Sie gehört meinem lieben Freund Bastian, der steinreich ist und sie uns regelmäßig leiht.«
    »Ja nee, wozu dient dieses Wunderwerk?« Jetzt klang Teuter süß wie der Polizist im Kasperletheater.
    »Autoreflexive physische Observation«, mischte Smutek sich ein. »Selbstkontrolle sportlicher Bewegungsabläufe.«
    »Zeigen Sie mir die Bilder.«
    »Wie Sie sehen«, sagte Alev, »ist Ada nach der Aufwärmphase gerade beim Krafttraining. Mit Laufübungen beginnen wir in etwa zwanzig Minuten.«
    »Dann zeigen Sie mir die Bilder vom letzten Training.«
    Teuter kämpfte um Beherrschung und stand kurz vor der Niederlage. Mit großen Schritten kam er auf Alev zu, stolperte über dessen vorschriftsmäßig ausgezogene Schuhe und vermied in polterndem Taumel einen Sturz auf das Linoleum.
    »Ja nee, Gegenstände«, ließ Ada sich dumpf vernehmen, den Blick aus der Rückenlage an die Hallendecke gerichtet.
    »Ein Gegenstand erwächst aus der Vereinigung von Gegenwehr und Widerstand. Sie sollten vorsichtig sein.«
    »Die Bilder der letzten Trainingseinheit«, sagte Alev beruhigend, »sind vom Chip gelöscht. Sie erfüllen ihren Zweck während des Gebrauchs.«
    »Wäre ein Camcorder mit Monitor nicht erheblich sinnvoller bei diesem Anliegen als ein kleines Display?«
    Smutek zog die Beine unter den Körper und sprang auf die Füße.
    »Herr Teuter«, sagte er eifrig, »wenn Sie daran denken, unsere Ausrüstung in diese Richtung zu erweitern, wäre ich dankbar. Es ist in der Tat so, dass die Arbeit mit einer Digitalkamera .«
    »Es reicht.«
    Teuter machte auf dem Absatz kehrt, schlug einen Bogen um Alevs Schuhe, die umgeworfen wie die abgeknickten Füße eines Unsichtbaren am Boden lagen, und erreichte die breite Schiebetür.
    »Wann findet die Kreismeisterschaft statt?«, rief er von dort.
    »Sechzehnter bis achtzehnter Juli«, sagte Smutek.
    »Wir freuen uns, bei diesem Ereignis zu Gast zu sein«, bemerkte Hauser, der noch immer auf der Drei-Punkte-Linie stand wie ein vereinzelter Baum in der Wüste.
    Nachdem die Außentür im Vorraum ins Schloss gefallen war, setzten MEZ und Erdrotation aus. Die Situation gefror zu einem Standbild. Alevs Hand ruhte auf dem Kamerastativ, Ada lag flach am Boden, Smutek stand in Gutsbesitzerpose mit verschränkten Armen zwischen beiden. Es herrschte eine seltene Abwesenheit jeder Art von Geschehen, bis die Chronologie der Ereignisse nach Überwinden einer Weiche sicher in die neue Spur geraten war und Smutek sich in Bewegung setzte.

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