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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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Er lief in den Vorraum, entnahm der Werkzeugkammer einen Besen und klemmte ihn unter die Klinke der Eingangstür. Als er zurückkam, hatte Alev Kamera und Stativ in die Phototasche gepackt, Ada stand auf den Beinen und schob sich die Haare zurecht, als wäre sie gerade aufgewacht. Smutek rannte. Smutek hatte Beine zum Rennen, Lungen zum Atmen und ein Zwerchfell zum Lachen, er war einwandfrei am Leben. Infantiler Übermut trieb ihn in Adas Arme; er fasste ihre Hüften, hob sie hoch und schwenkte sie herum. Er schlug Alev auf die Schulter, hob einen Schuh auf und schleuderte ihn mit solcher Gewalt gegen die Plastikrückwand des Basketballkorbs, dass sie wie ein höllischer Gong erdröhnte. Auch Alev lachte, während er in den anderen Schuh stieg, genau wie Ada, die den Körper bog und sich den Bauch mit beiden Armen hielt. Zeigen Sie mal die Bilder vom letzten Training. Wir üben für die Kreismeisterschaft. Er kann uns einen Camcorder kaufen. - Es fehlte nicht viel, und sie hätten sich zu dritt an den Händen gefasst, um gemeinsam hinauszulaufen in den Frühlingsabend.
    Auf dem Kiesplatz standen sie noch einen Moment zusammen, wieder ernst, aber gelöst, drei Menschen nach dem Sport, mit geschulterten Taschen, das Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagernd.
    »Verzichten wir diesmal auf Zettel«, sagte Alev. »Ab jetzt lauft ihr wieder gemeinsam, wenigstens zweimal die Woche. Macht die Termine unter euch aus. Alles Weitere später. Schönes Wochenende.« Er verschwand, die Phototasche schwenkend, pfeifend wie ein Handwerker.
    Die beiden Zurückgebliebenen wollten einander etwas sagen. Am Rand des Parkplatzes war die Sonne wärmer als überall sonst in der Republik. Sie standen dicht voreinander, schauten abwechselnd in den Himmel und zu Boden, und die Haare fielen ihnen in die Gesichter. Vorsichtig nahm Smutek Adas Hand, die in seiner lag wie ein Gegenstand, niemals konnt ich an deine hände denken ohne zu lächeln ... das eben ist das ende, sah sich um und ließ sie sogleich wieder los. Wandte sich ab und ihr wieder zu. Okay. Bis Montag. Schönes Wochenende. Zum Wagen lief er. Der Zündschlüssel traf das Schloss erst beim dritten Versuch.
    Splendid Isolation
    S muteks Volvo verließ den Parkplatz mit quietschenden Reifen wie der Ford Escort eines Achtzehnjährigen, und Ada blieb noch eine Weile stehen und schaute ihm nach, obwohl es auf der leeren Straße nichts zu sehen gab. Für das Gefühl, das sich gerade häuslich in ihr niederließ, gab es ein simples Wort: Freiheit. Als gäbe es keine Eltern, die man lieben und deren Liebe man ertragen musste, weil Natur und gemeinsam verbrachte Jahre es verlangten. Als existierte kein Grund, Freunde zu gewinnen und Feinde zu bekämpfen. Sie fühlte sich, als hätte Alev Recht, dem sie genau genommen niemals ein einziges Wort geglaubt hatte. Als wäre tatsächlich alles ein Spiel. Nicht: nur ein Spiel, sondern: ein spiel . Sogar von dem seltsamen Trieb, der sie seit Monaten zwang, einem einzigen Wesen im Schweinsgalopp nachzulaufen, die Nase am Boden wie ein Bluthund auf der Spur des angeschossenen Tiers, ohne dass sie je mehr zu Gesicht bekommen hätte als einen Schatten, die Spiegelung und frische Abwesenheit eines eben noch dort Gewesenen - selbst von diesem unglaublichen Irrsinn war momentan wenig übrig. Zum ersten Mal hatten sie zu dritt miteinander gelacht, und nun schien etwas zerbrochen, ein Riegel, eine Kette, ein Gitterstab, und Ada fragte sich, ob dies das eigentliche Ende des Gefangenendilemmas sei: wenn Richter und Angeklagte sich in die Arme fielen, um gemeinsam über einen Repräsentanten der alten Ordnung zu spotten. In diesem Fall wäre die so genannte befreiende Wirkung von Gelächter immer falsch verstanden worden. Man lachte nicht sich, sondern alles andere tot.
    Ada wusste nicht genau, ob ihr der eingetretene Zustand gefiel oder nicht. Sie ging fest davon aus, dass die Freitagnachmittage fortgesetzt würden. Das Spiel aber konnte nicht funktionieren, solange alle drei Mitspieler in einem Boot saßen. Ada brauchte einen Gegner, nein, zwei: Smutek und Alev. Wenn Letzterer mit der heutigen Inszenierung die neue Lage absichtlich herbeigeführt haben sollte, war er entweder mutig oder dumm.
    Es schlug achtzehn Uhr, sie machte sich auf den Weg zum Fahrradkeller.
    Durch die Leere in ihrem Kopf schwebte als Nächstes der Gedanke an Smutek, schwerelos wie ein Falter. Als sie versucht hatte, in der Vergangenheit einen Menschen zu finden, von dem sie

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