Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
Vom Netzwerk:
Sie haben den Geschlechtsverkehr bei der Masturbation erlernt und kennen es nur so. Sex funktioniert durch Einsatz der Phantasie.«
    »Aber warum?«
    »Mein armes Kleines. Das erste von zehn Geboten lautet: Du sollst nicht töten - aber der erste Sündenfall war kein Mord, sondern verbotener Geschlechtsverkehr, Frucht und Schlange. Der Heiland höchstpersönlich wird zu Tode gefoltert, aber unbefleckt empfangen. So betrachtet, ist die gute Seite völlig überbevölkert, alles, sogar das Töten kann sich dort aufhalten. Ihr gegenüber steht ganz allein der lustvolle Sex. Jeder praktiziert dieses Böse, die meisten so oft wie möglich, und darin liegt unsere besondere Verdammnis.«
    »Nur deine nicht? Du bist die impotente Heilige Jungfrau?«
    »Ich bin ein Schreibtischtäter. Smutek aber ist Katholik, das solltet ihr beide niemals vergessen. Hat er dir gesagt, woran er denkt, während er auf dir liegt?«
    »Nein.«
    Alev lachte, nahm Ada an der Hand und setzte sie wieder in Bewegung.
    »Ich hab's dir immer gesagt: In uns hat Smutek sein wahres Selbst gefunden. Unser Verhältnis ist reiner als Liebe, tiefer als Freundschaft und inniger als die Beziehung des Bergsteigers zum Seil. Wir sollten heiraten, alle drei.«
    Nebeneinander liefen sie über den Schulhof. Während Ada noch lachte, hatte Alev das Interesse an der Unterhaltung bereits verloren und war auf der Suche nach dem nächsten Reiz.
    »Hast du die nichtkooperativen Spiele von John Nash zu Ende gelesen?«, fragte er.
    »Fast.«
    »Was denkst du?«
    »Dass der Mann einen guten Lektor gebraucht hätte.«
    »Wann wirst du lernen, den Inhalt vor der Form zu schätzen?«
    »An dem Tag, an dem der Inhalt lernt, ohne Form zu existieren.«
    »Ist es das, was du dir wünschst? Inhalt ohne Form?«
    »Unsinn. Inhalt und Form sind mein Problem nicht mehr. Wenn man klug ist, ohne wunderschön zu sein, tut man gut daran, Frieden mit diesen beiden Gesellen zu schließen. Was ich mir wünsche ...« Sie waren am Rand des Parkplatzes stehen geblieben, hinter dem die Turnhalle sich flach und ziegelfarben streckte wie ein Kasernenbau. »Ich wünsche mir, mal wieder am Meer zu sitzen. Zu sehen, wie sich die Schiffe im Hafen vor dem befestigten Ufer verneigen.«
    »Lass uns hinfahren.«
    »Was hast du gesagt?«
    »Lass uns ans Meer fahren. Bald sind Ferien. Es war ein hartes halbes Jahr. Smutek kann es bezahlen.«
    »Du liebst mich.«
    »Ich liebe dich nicht. Nicht mal ansatzweise.«
    »Warum fährst du nicht mit Odetta ans Meer?«
    »Weil mir ihr blödes, blondes Geschwätz auf die Nerven geht.«
    »Warum verbringst du dann deine gesamte unbewachte Zeit mit ihr?«
    »Gut geraten, Kleinchen. Du hast eine große Zukunft vor dir.«
    »Liebst du sie?«
    »Vielleicht.« Lachend fasste er ihren Pferdeschwanz und zog ihr den Kopf zurück. »Wahrscheinlich schon.«
    »Ich bin auch blond.«
    »Bei dir ist es Tarnung.« Alev sah auf die Uhr. »Okay«, sagte er. »Let's go.«
    Das Erste, was den Überraschungsbesuch verriet, war das Geklimper des Generalschlüssels in Teuters Hand. Einen halben Schritt hinter ihm stand Hauser und überragte ihn um Haupteslänge, ein spontan hinzugezogener Zeuge mit verschlossenem Gesicht. Als seltsam geduckte, doppelköpfige Gottheit standen sie am Rand der Halle.
    Der weiche Mittagsfisch wurde durch die Klappbewegungen in Adas Bauch zusammengedrückt und entsandte Luftblasen mit Meer- und Mayonnaisegeschmack in ihre Mundhöhle. Alle Proteste gegen die ungewohnten gymnastischen Übungen waren ungehört verhallt. Alev hatte sich, noch strenger als sonst, jede Frage verbeten. Er befahl ihnen, unverzüglich zu beginnen, bevor auch nur die Kamera aufgebaut und schussbereit war. Smutek tat sich leichter als Ada; Bewegungen dieser Art führte er ständig beim Krafttraining aus. Er hatte die Hände hinter dem Kopf verschränkt, sein schwerer Oberkörper fuhr gleichmäßig wie an Stahlseilen gezogen in die Höhe. Beide trugen weiße T-Shirts zu ihren Sporthosen, hatten die Knie angewinkelt und die nackten Füße unter die niedrigste Stange des Klettergerüstes geklemmt. Die Spitzen ihrer Haare glänzten gelb wie blondiert, jedes Mal, wenn die Köpfe beim Aufsteigen ins Sonnenlicht tauchten. Sie waren synchron, sie waren stark und schnell, sie hatten Kontrolle über ihre Körper, sie waren Vorzeigeexemplare der Maschine Mensch, Mann und Frau, Bruder und Schwester, Adam und Eva vor dem Sündenfall.
    »Fünfzig«, rief Alev, der vorgab, noch immer mit dem Aufbau der

Weitere Kostenlose Bücher