Spieltrieb: Roman
standen in seiner Vorstellung nebeneinander wie zwei Trockner im Waschsalon, deren Programme gleichzeitig ans Ende gelangt waren. Eine Eingebung bat um Aufmerksamkeit. Erstaunt sah Smutek seine imaginäre Ada von der Seite an und erinnerte sich an das plötzliche, engelhafte Strahlen, das er am frühen Abend gleich zweimal auf ihrem Gesicht erblickt hatte. Möglicherweise fehlte gar nicht viel. Möglicherweise lag in ihrer hartnäckigen Verweigerung die dringende Bitte darum, eine These auszusprechen, damit sie Wirklichkeit werden könne. Die These lautete: Die einzige Chance zum Vermeiden eines unvermeidlichen Endes besteht in der Hoffnung, Ada werde sich versehentlich in Smutek verlieben.
Vor dem Hintergrund der schwarzen Scheibe, die ihre Durchsichtigkeit verlor, wenn er seine Augen nur wenige Zentimeter von der Oberfläche entfernte, konnte er den passenden Ausdruck auf Adas Gesicht vor sich sehen wie das letzte Bild am glücklichen Ende eines alptraumhaften Thrillers: Ein weiches Zergehen, das die Rückkehr ihres wahren Alters ankündigte, ein leiser Triumphzug der verletzlichen Fünfzehnjährigkeit, erfüllt von jenem sehnsuchtsvollen Flehen um Zuneigung, Nähe und Wärme, das doch in Smuteks Weltbild geheimer Kern allen menschlichen Verhaltens war.
Unbewegt starrte Ada als vollmondgleiche Erscheinung aus den nachtschwarzen Baumkronen zu ihm herein. Nachdem Smutek sie eine Weile betrachtet hatte, verstand er, dass der wahre Träger von Grausamkeit im Menschen die Unschuld sei. Folglich konnte jede Unterscheidung in Recht und Unrecht nicht mehr darstellen als ein gut gemeintes Bemühen, und so blieb die Welt, seine kleine ebenso wie die große im Allgemeinen, unrettbar verloren. Den Zustand, der aus dieser Erkenntnis folgte, fand Smutek so unerträglich, als hätte er soeben erfahren, dass es ab sofort kein Rechts und Links mehr gebe und die Menschheit selbst herauszufinden habe, wie sie damit zurechtkommen wollte.
Jetzt wuchs das Bedürfnis nach Abschied. Smutek wollte Ada die Hand geben, ihr fest in die Augen schauen und sagen, dass es nicht darum gehe, jemanden zu retten, sie nicht, ihn nicht und nicht einmal Frau Smutek, die im Nebenzimmer ahnungslos im chemischen Gesundheitsschlaf lag, und dass er das endlich begriffen habe. Er wollte sie väterlich ein letztes Mal umarmen, etwas Kurzes, Merkwürdiges sollte in dieser Sekunde zu Ende gehen: Ein heftiges und zugleich zartes Gefühl zwischen ihm und ihr, dessen kurzer Lebensweg vom Dunklen ins Dunkle verlief.
Er tat nichts dergleichen. Da war niemand, von dem er sich hätte verabschieden können, nur Baumkronen, ein vom Kältedunst beschlagener Himmel und der Mond, im Abnehmen begriffen, ein halb gegessenes Fladenbrot. Smutek entspannte sich, öffnete das Fenster und ließ sich vom Atem des späten Pankratius bestreichen, der längst bereitstand, um den eisigen Staffelstab an seinen Nachfolger weiterzugeben. Der Gedankenhund war hinaus in die Dunkelheit verschwunden und suchte sich einen besseren Herrn. Nach einigen Minuten beschloss Smutek, der sich von der Selbstachtung zu einer Entscheidung genötigt sah, dass er die letzten Tage, gleich wie viele es sein mochten, mit diesem und jenem verbringen würde, bevor das Ende, von dessen Gestalt er nach wie vor nicht mehr als eine vage Ahnung besaß, schließlich eintreten sollte.
Servatius, Vormittag
S ervatius war gut gelaunt. Alle sieben Jahre trugen Wallfahrer in großer Prozession seine Knochen durch die Gassen von Maastricht, und heuer war ein solches siebentes Jahr. Was bedeutet ein Sieben-Jahres-Rhythmus vor der Ewigkeit? Das schnelle Flackern einer halbdefekten Neonröhre. Er freute sich, zog den Holzschuh an, mit dem man ihn einst erschlagen hatte, und hinkte mit einem derart strahlenden Lächeln durchs Land, dass eine armenische Sonne in den Himmel stieg und die weißlichen Spuren des verbitterten kleinen Pankratius beseitigte. Streiten konnten sie später. Wer nur einmal im Jahr Ausgang hat, genießt diesen Tag, auch wenn das Vergehen von Zeit in der Unendlichkeit eine andere Bedeutung besitzt.
Mit krummem Rücken hing Ada über einer Müslischüssel wie ein Hund über seinem Napf, als ein Problem infolge einer seltenen Koinzidenz gleichzeitig mit der Lösung in ihrem Hirn eintraf. Wenn sie, Olafs Andeutungen folgend, am Nachmittag ohne viel Aufhebens im Physiksaal auftauchen wollte, brauchte sie einen Schlüssel zum Hauptgebäude, dessen Türen nach Schulschluss verriegelt wurden, und es war
Weitere Kostenlose Bücher