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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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warum?«
    »Es ist mir egal.«
    »Ich wollte deine Wohnung sehen, und zu einem anderen Zeitpunkt wäre ich bestimmt ungelegen gekommen. Richtig?«
    »Verdammt richtig.«
    »Außerdem brauche ich deinen Generalschlüssel.«
    Smutek antwortete nicht, hob beide Brauen zum Zeichen eines unbestimmten Einverständnisses und schob eine randvolle Tasse über den Küchentisch.
    »Trink.«
    Mit dem Kaffee in beiden Händen unternahm sie eine Besichtigungstour. Die Zimmer wirkten vertraut, als hätte Ada sie sich selbst ausgedacht. Kreatives Chaos in Smuteks Arbeitszimmer. Wacklige Stapel ungelesener Bücher, die sie allesamt kannte. Ein großer farbenfroher Teppich, der nach Mitbringsel aus dem Marokkourlaub aussah und den Raum von unten mit einem breiten wolligen Lächeln füllte. Fliegende Bauten.
    »Kennst du das?« Smuteks Hand lag auf ihrem Nacken, warm, feucht und schwer wie ein Halswickel.
    »Sicher«, sagte Ada. »Das ist nichts für dich.«
    »Erklär's mir.«
    »Viel sinnloser Sex mit flüchtigen Freunden und alten Bekannten. Reisen nach Paris, Belgrad und Fitzroy, innere Monologe in schäbigen Hotelzimmern. Nichts für Typen mit virilem Wertesystem. Warum hinkst du?«
    »Zur Feier des Tages.«
    Selbst die dunkle Stelle abgeplatzten Lacks an der Tür, die sich, aus dem Augenwinkel betrachtet, wie eine Kakerlake zu bewegen schien, kam ihr bekannt vor.
    Ein abgekühltes Bett im Schlafzimmer. Ein offen stehender Kleiderschrank. Ada konnte sich noch immer vorstellen, Kleiderbügel beiseite zu schieben und ihre wenigen Sachen daneben zu hängen. Einmal am Tag müsste er mit starken Armen unter ihre Kniekehlen und Achselhöhlen fahren, sie hochheben und auf einem kleinen Rundgang durch die Wohnung tragen, während sie das Gesicht im waschmittelfrischen Kragen seines Hemds versteckte.
    »Warum schmeißt du sie nicht raus?«
    »Wie bitte?«
    »Wenn du sie rauswirfst, ziehe ich bei dir ein.«
    Der Halswickel verschwand, Smutek brachte Abstand zwischen sich und sie und lehnte sich gegen die Wand.
    »Früher oder später«, sagte Ada, »wird sie dich ohnehin verlassen. Es ist nur eine Frage der Zeit. Trenn dich von ihr, kündige auf Ernst-Bloch, warne deine besten Freunde. Dann kannst du gelassen abwarten, zurückgelehnt und mit ausgestreckten Beinen wie ein erwachsener Mann.«
    Smutek legte eine Hand über den Mund, um sich selbst an einer Antwort zu hindern, und schaute sie an, als sähe er sie zum ersten Mal. Als Ada auf ihn zutrat, fuhr er ihr in die Haare und suchte nach den Spitzen der Hörner, die ihr jeden Moment durch die Kopfhaut brechen mussten.
    »Überleg es dir«, flüsterte sie. »Du kannst alles Weitere mir überlassen.«
    Er zog sie an sich, bettete ihren Kopf gegen seine Schulter und schwieg.
    »Eine Sache«, flüsterte sie, »will ich dir schon lange sagen.«
    Beim Heraufschauen von unten wurden ihre Augen groß, zwei blassblaue Pfützen, die verzerrte Miniaturaufnahmen von Smuteks Gesicht in ihren Mitten spiegelten. »Wenn es passiert, darfst du keine Fragen beantworten. Beruf dich sofort auf dein Schweigerecht. Wir werden uns eine Weile nicht sehen können. Aber auch das geht vorbei. Hast du verstanden?«
    Wieder hob er die Brauen, was Entsetzen ebenso wie Einverständnis oder Belustigung meinen konnte. Er ging langsam in die Knie und hob sie mühelos hoch, trug sie über den Flur, warf einen Blick in Küche und Bad, während Ada das Gesicht im Kragen seines Hemds verbarg, und entschied sich fürs Wohnzimmer. Auf buntem Patchwork gingen sie nieder. Die Primeln unter dem Fenster drückten mit abgeknickten Hälsen die Köpfe aufs Parkett.
    »Und jetzt«, sagte er leise, »werde ich dir zeigen, worum es die ganze Zeit eigentlich geht.«
    Fast jeder weiß, wie es ist, wenn ein menschlicher Körper einem anderen in der Weise begegnet, wie die Biologie es für alle Wesen seit Urzeiten vorgesehen hat. Wie jedes wilde Tier scheut der Mensch körperliche Kontakte und erträgt die Nähe von Artgenossen nur mit Mühe. Er braucht ausgeklügelte Rituale, um die Fremdheit zu überwinden, er muss intime Begegnungen zu einem Tanz machen, der Instinktbarrieren niederreißt, um dem Verlangen einen Weg zu bahnen. Jeder von uns hat ein Guckloch in der Seele, das ihm das alljährliche Menuett der Albatrosse zeigt, wie sie, felsigen Untergrund unter den großen Füßen, mit meterweit ausgebreiteten Schwingen im Gewimmel der Kolonie nach dem einen Partner suchen, den das Leben für sie erschaffen hat. Wir kennen die Belohnung,

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