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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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schließlich seine in geistigen Trapezen schwingende Sprechakrobatik waren unter Smuteks Händen vergangen, und niemand war imstande zu glauben, dass sie eines Tages zu ihm zurückkehren würden. Übrig blieb ein Mensch - kein Gott, kein Teufel, kein Alptraum und keine Wunschphantasie. Da saß ein Achtzehnjähriger, der auf Bitte der Gerichtspolizei mit dem Krankenfahrzeug zur Verhandlung gebracht worden war, seinen Verteidiger mit Verachtung behandelte und zwischen den schwarz gekleideten Erwachsenen verloren wirkte. Smutek fand ihn beinahe sympathisch. Am liebsten wäre er aufgestanden, hätte den kahlen Schädel, der tapfer wie die Weltkugel auf Atlas' Schultern an seinem Platz saß, mit einer warmen Hand berührt und gesagt, dass alles, so oder so, in Ordnung komme, dass das Leben weitergehe und ähnlichen Blödsinn. Stattdessen warf er Alev einen zweiten Seitenblick zu und spürte, wie die Erinnerung an die frühere Gestalt dieses Menschen verblasste, so endgültig, als hätte es sie niemals gegeben, als wäre Alev immer nur der Schatten von etwas Größerem gewesen, der sich für Momente hoch aufrichten konnte, um im nächsten Augenblick wieder klein und fromm bei den Fersen zu kauern.
    Über die Sprechanlage forderte die kalte Sophie die Zeugen auf, in den Saal einzutreten und auf den Zuschauerbänken Platz zu nehmen. Die schwere Holztür öffnete sich langsam, als würde sie mit äußerster Kraftanstrengung aufgestemmt. Lindenhauer, Hauser und Teuter überquerten lautlos das grünliche Linoleum, dessen Oberfläche zerkratzt war wie ein alter Turnhallenboden, und glitten auf drei Stühle in erster Reihe, geschickt und schnell wie bei der Reise nach Jerusalem. Lindenhauer klemmte die Finger zwischen die Knie, als wäre ihm kalt. Odetta und Olaf hielten einander an den Händen, bogen gleich nach rechts ab und strebten der letzten Reihe zu, wo sie sich dicht nebeneinander hockten wie Vögel auf einen Ast. Den Zeugen war anzusehen, dass sie vor der Tür kein einziges Wort miteinander gesprochen hatten. Das Schweigen umgab sie wie ein Pesthauch.
    Die kalte Sophie ließ den Blick durch ihren Gerichtssaal wandern, der mit seinen versprengten Besuchern dem Zuschau-erraum eines schlecht besuchten Kinos glich, und beugte sich noch einmal über das Mikrophon.
    »Ich weiß, dass Sie da sind. Sparen Sie sich die Mätzchen und kommen Sie herein, aber tosto!«
    Durch die offenstehende Tür schallte das letzte Wort laut vom Flur herein, als stünde draußen eine zweite Sophie und triebe Nachzügler wie widerspenstiges Vieh in den Saal. Der Vertreter der Anklage hob eine Hand, um in den weiten Ärmel seiner Robe zu grinsen. Seit er die kalte Sophie kannte, beneidete er jeden männlichen Angeklagten darum, während der mündlichen Verhandlung für ein paar Stunden ihr linkes Profil betrachten zu dürfen, während er selbst von seinem Platz aus immer nur das rechte zu sehen bekam. Er hatte erwogen, straffällig zu werden, um einmal unter ihre Fuchtel zu geraten, und den Gedanken gleich wieder verworfen. Er war über einundzwanzig Jahre alt, und sein Nachname begann mit einem Buchstaben, der nicht in ihren Geschäftsbereich fiel.
    Ada entließ den letzten Rest Zigarettenrauch durch die Zähne, während sie schon mitten im Raum stand und sich blinzelnd umsah wie ein Nachttier, das sich am Tag auf unbekanntem Gelände zu orientieren versucht. Smutek hatte sich unwillkürlich aufgerichtet, als sie im Türrahmen erschien. Wärme war ihm in den Kopf geflossen und hatte sich über die Wangen ausgebreitet, und er musste an sich halten, um nicht einen Arm in die Luft zu werfen und ihr zu winken, dass sie sich neben ihn setzen sollte. Acht Wochen lang hatten sie sich nicht gesehen. Acht Wochen, in denen Smutek keine Telefonanrufe tätigte, keine SMS verschickte und die Wohnung nur bei Nacht für kurze Einkaufsbummel zur nächsten Tankstelle verließ. Tagsüber lief er Gefahr, sich dem Zugriff eines Lokalreporters auszusetzen oder, schlimmer noch, einer Horde aufgeregter Oberstufenschüler in die Hände zu fallen.
    Vielleicht wissen Sie es noch nicht, hatte sein Verteidiger gleich beim ersten Treffen zu ihm gesagt, Sexualdelikte sind stärker geächtet als Totschlag oder Mord, und wenn eine Minderjährige im Spiel ist, erfinden selbst die härtesten Jungs im Knast einen gescheiterten Banküberfall mit Geiselnahme. Das Furchtbare am Gefängnis sind nicht die Gitterstäbe.
    Ohne Vorwarnung war Smutek ausgerastet. Behandeln Sie mich nicht wie

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