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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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einen Pädophilen! Für eine winzige Sekunde hatte er das Geräusch aufeinander schlagender Kiefer vorausgeahnt, sich schlagartig wieder beruhigt und seine Nervosität mit den Auswirkungen von Isolationshaft in der eigenen Wohnung entschuldigt.
    Vor dem Hintergrund dieser acht Wochen wirkte Ada auf ihn, als wäre sie engelsgleich von der Saaldecke herabgesunken. Die helle Haut war von einem Leuchten umgeben, erzeugt vom dunklen T-Shirt und einer schwarzen Hose, die Smutek noch nie an ihr gesehen hatte. Unter den Aufschlägen sahen die Spitzen der roten Turnschuhe hervor. Sie schien schlanker geworden, und ihre Haare mussten in zwei Monaten um zehn Zentimeter gewachsen sein. Daran rätselte Smutek herum, bis ihm auffiel, dass ihr Bild in seinem Gedächtnis jenen Momenten entstammte, da er sie über die Flure der Dahlemer Herberge ins Badezimmer getragen hatte. In seiner Erinnerung lag sie wie schlafend in seinen Armen, während er sie in aller Ruhe betrachtete. Wenn man jung war wie sie, stellten acht Monate eine kleine Ewigkeit dar. Schon innerhalb von acht Wochen vermochte die Welt sich von Grund auf zu ändern. Dieser Gedanke fasste Smutek mit kalten Fingern an. Möglicherweise war Ada eine andere geworden. Vielleicht konnte sie sich kaum noch daran erinnern, was zwischen ihnen vorgefallen war. Als sie ihm das Gesicht zukehrte, gingen seine Mundwinkel zum Willkommensgruß in die Breite. Ihre Augen schauten an ihm vorbei ins Freie, als bestünde Smutek genau wie das Fenster aus reinem Glas.
    Die kalte Sophie war eine aufmerksame Beobachterin. Sie bemerkte den gescheiterten Blickwechsel, Smuteks spontane Freude und die anschließende Bestürzung. Sie sah, dass Alev den Kopf gesenkt hielt, um sein zerstörtes Antlitz vor diesem Mädchen zu verbergen, und dass Ada beim nächsten Atemzug noch immer Zigarettenrauch aus den Lungen entließ. Als Ada endlich den Blick zum Richterpult hob, wandelte sich das abwartende Schweigen in einen Zustand der Anspannung. Richterin und Zeugin hefteten einander mit Blicken fest. In einem unsichtbaren Gedränge meinten Urd und Skuld, ungestüme Fürstinnen der Vergangenheit und der Zukunft, in der jeweils anderen etwas Vertrautes zu erkennen, und zerquetschten beim Ineinanderstürzen Werdandi, die stets leidende Gegenwart, zwischen sich. Für einen irrationalen Moment war die kalte Sophie froh, dass die Staatsanwaltschaft einstweilen darauf verzichtet hatte, gegen Ada Anklage zu erheben, weil sie als Zeugin besser zu gebrauchen war. Es wäre ihr vorgekommen, als hätte man sie aufgerufen, über sich selbst zu Gericht zu sitzen.
    »Guten Tag«, sagte Ada.
    »Den wünsche ich Ihnen auch.« Der Bann brach splitterfrei und lautlos. »Hätten Sie die Güte, sich hinzusetzen?«
    Sophie rief zur Sache auf, stellte die Präsenz der Zeugen und Sachverständigen fest, begrüßte den Vertreter der Jugendgerichtshilfe, belehrte über Wahrheitspflichten und die strafrechtlichen Folgen einer Lüge vor Gericht und wies die Zeugen an, den Sitzungssaal wieder zu verlassen. Als dies geschehen war, ging ein raschelndes Aufatmen durch den Raum, als hätte man eine erste große Hürde gemeinsam genommen.
    Der Staatsanwalt verlas den Anklagesatz volltönend wie ein Häuptling, der gewohnt ist, über freies Feld zu seinen Leuten zu sprechen. Bei den Begriffen >schwere Körperverletzung<, >gefährliche Körperverletzung< und >Misshandlung von Schutzbefohlenem warf er Smutek finstere Blicke zu. Die kalte Sophie lauschte, das Kinn in die Hand gestützt, dankte und vernahm die Angeklagten ungerührt zu ihren persönlichen Verhältnissen, während der Vertreter der Anklage enttäuscht auf seinen Stuhl zurücksank und sich aufplusterte wie ein Rabe im Winter.
    Smutek antwortete leise und dienstbeflissen. Alev wälzte langsam und qualvoll Stücke von Sprache über seine halbierte Zunge und mischte scharfe Zischlaute mit gutturalen Vokalen, dass es klang, als spräche er mit einer Zahnbürste im Mund. Beide Verteidiger erklärten die Weigerung ihrer Mandanten, zur Sache auszusagen. Man schickte sich an, zur Beweisaufnahme überzugehen, als Alev die Hand hob.
    »Möchten Sie doch etwas sagen?«, fragte die kalte Sophie. Alevs rotweißer Schlafzimmerblick stieg zu ihr auf.
    »Mein Mandant hat sich entschieden, von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen«, rief der Verteidiger, erhob sich halb vom Stuhl, eine Hand auf Alevs Schulter gestützt, und verlor fast das Gleichgewicht, als dieser ihn mit einer ruckartigen

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