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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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des gekachelten Raums. Erst als die Jungen Anstalten machten, Ada auf eins der Pissbecken zu setzen, fing sie an, sich richtig zu wehren. Einer ihrer Fußtritte traf den Kleinen in den Bauch, dass er Abstand hielt und eine Weile vornübergebeugt stand, während die anderen ihr einen Arm auf den Rücken drehten und den Griff so lange verstärkten, bis sie aufstöhnte und sich auf das Pissoir heben ließ. Ihre Füße erreichten den Boden nicht. Der Hintern drückte sich in das Becken, Porzellan stieß gegen die Hüften, der Duftstein presste sich durch den Stoff der Jeans. Mit einem Mal gab Ada allen Widerstand auf und saß den Jungen ruhig und in fast majestätischer Haltung auf ihrem seltsamen Hochsitz gegenüber.
    »Und jetzt?«, fragte sie mit unbewegter Stimme.
    »Jetzt drehen wir Locken.«
    Der Kleine übernahm den Polizeigriff im Rücken, während die anderen Adas glatte, halblange Haare um die Finger wickelten, fest und immer fester, bis zur Kopfhaut hinunter. Die Haare gingen in Büscheln aus, Tränen rannen ihr aus den Augenwinkeln über das Gesicht. Die Arbeit bereitete ihnen Vergnügen, steht dir super, gleich siehst du aus wie Joe, Klugheit ist wirklich nur eine Frage der Frisur. Sie lachten und zischten durch die Zähne und schüttelten die ausgegangenen Haare von den Fingern. Ada wurde übel, sie wäre auch ohne Polizeigriff nicht mehr imstande gewesen, sich zu wehren. Die eigenen Tränen brannten wie Meerwasser in den Augen. Schließlich hielt ihr der Kleine nur noch mit einer Hand den verdrehten Arm auf dem Rücken, so dass er die Linke freibekam, um ungeschickt und grob ihre Brüste zu kneten. Sehnerv, kicherte er, ich sehe was, was du nicht siehst. Die anderen achteten nicht auf ihn, sie fuhren fort, sich um Adas Haare zu kümmern. Die Locken halten nicht, wir brauchen eine Brennschere, das machst du doch absichtlich.
    Als der Spaß seinem Ende entgegenzugehen drohte, ließ. der Kleine ihren Arm los und schob ihr die Beine auseinander. Mit Zeigefinger und Daumen der linken Hand formte er einen Ring, den er auf Adas Schambein drückte und mit drei Fingern der Rechten zu durchstoßen begann. Siehst du das, siehst du das. Die beiden anderen ließen von ihr ab, schauten zu, was der Kleine dort trieb, und machten Mienen wie Kinder, die eine Vogelspinne im Zoo beim Verzehren ihrer Beute beobachten. Dann packten sie wie auf plötzlichen Zuruf den Kleinen an den Schultern, drehten ihn um und rannten aus dem Toilettenraum.
    Ada hievte sich aus dem Becken, schlug den an der Hose klebenden Pinkelstein angewidert von sich und spähte mit tränenden Augen durch den Türspalt auf den Gang. Niemand war zu sehen. Der Flur lag ruhig, die Pausengeräusche waren verstummt, der Unterricht hatte begonnen. Sie wechselte vom Jungenklo zurück in die Mädchentoilette, lehnte sich dort neben dem Waschbecken an die Wand und konzentrierte sich auf ihre Atmung. Wie nach dem Laufen, wenn man es übertrieben hatte. Wenn man überlegte, ob man vornüberklappen und kotzen sollte, kotzen allein fürs anschließende Wohlbefinden. Einatmen, ausatmen. So etwas ging schnell vorbei, ein Schwächeanfall, sie kannte das von der Aschenbahn, Unterzucker und Sauerstoffmangel. Mit den ruhigen Atemzügen kehrte die Kraft zurück.
    Schließlich trat sie zum Waschbecken, stützte beide Hände auf den Rand und betrachtete sich im Spiegel. Sie sah nicht gut aus, aber weniger schlimm als erwartet. Das Haar war zerzaust, als habe sie Wochen im Bett verbracht, und die Kopfhaut brannte wie nach einer Verätzung. Mit beiden Händen versuchte sie die Haare zu glätten, die für einen Zopf noch nicht lang genug waren. Dem Gesicht war nicht viel passiert, die roten Flecken stammten eher von der Aufregung als von einer Misshandlung. Ada schöpfte Wasser vom Hahn und verrieb es auf dem Hosenboden ihrer Jeans, wusch sich das Gesicht, befeuchtete das Haar und strich es hinters Ohr. Fast wie neu.
    Solche Dinge passieren eben, dachte sie. Guck dir die Welt an. Hast du wirklich geglaubt, du kämest drum herum? Das hast du nicht geglaubt. Das Wichtigste ist, dass es vorübergeht. Es geht immer vorüber, so oder so, wie noch jeder einzelne Moment seit Menschengedenken, sei er noch so grausam oder schön, widerstandslos vergangen ist.
    Ada bildete sich ein, dass ihre Mutter sie in Kindertagen den einen Satz gelehrt habe: Kein Ereignis ist so schlimm wie die Furcht, die es vorausschickt. Und sie führte diese Worte fort: Nichts ist schlimmer als Unversehrtheit, die

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