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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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wisperndes Geräusch verursachte, und dachte nach.
    »Ich geh pinkeln«, sagte er leise, »danach melde ich mich krank. Du solltest woanders warten. Wenn dich jemand sieht, wirst du eingewiesen.«
    Unwillkürlich betastete sie die wichtigsten Bestandteile ihres Gesichts. Alles schien an seinem Platz. Olafs Lächeln blieb gutmütig. Mit allen zehn Fingern deutete er an, dass ihr Haar sich beim Trocknen löste und in allen Himmelsrichtungen vom Kopf stand. Dann reichte er ihr eine Hand, die sie ergriff und schüttelte.
    »Am Eingang zum Fahrradkeller, unten am Tor«, sagte er über die Schulter, schon auf dem Weg zum Klo.
    Ada flog die vier Treppen hinunter und schlug auf jedem Absatz mit flacher Hand aufs Geländer, dass ihr das Dröhnen des Holms bis ins Erdgeschoss vorausklang. Die Bewegung tat gut. Am Nachmittag würde sie laufen, rennen, schneller denn je. Vorher duschen, Haare waschen. Nachher noch mal duschen, Haare waschen. Alle Klamotten in die Wäsche. Lieblingspulli anziehen. Laufen.
    Zum Fahrradkeller führte eine Betonrampe mit Querrillen, an denen Füße und Reifen auch bei Regen Halt finden sollten. Die Wände waren lückenlos mit Edding und Sprühfarbe vollge-schmiert. Wochen hätte es gedauert, alle Inschriften zu entziffern. Ada kannte den Eingang nur vom Vorbeigehen. Sie war noch nie im Keller gewesen; zur Schule kam sie zu Fuß.
    Sie setzte sich auf den Steinboden mit dem Rücken an das verschlossene Tor. Rauchen, das gab es auch noch. Wie schön es sein konnte, etwas Angenehmes zu vergessen, wenn es einem im rechten Moment wieder einfiel! Die Zigarette belebte die Sinne, als wäre sie mit Marihuana gestopft, diesmal war der Schwindel angenehm, Adas Geist entfernte sich mit Überschallgeschwindigkeit von der zurückliegenden halben Stunde. Wenn Olaf noch fünf Minuten auf sich warten ließe, wären die Ereignisse außer Sicht geraten und Ada einfach nach Hause gegangen; ungläubig und gekränkt würde er vor den leeren Kubikmetern Luft am Kellertor stehen. Das Bedürfnis zu sprechen wurde mit jeder Sekunde dünner und verlor an Geschmack, wie ein Longdrink, der Schluck für Schluck mit Wasser aufgegossen wird. Diesen Gedanken hatte sie gerade zu Ende gebracht, da hielt er vor ihr an.
    »Darmgrippe«, sagte er, lächelte zu ihr hinunter und probierte Schlüssel von einem umfangreichen Bund. Als sie sich hochgerappelt hatte und neben ihm stand, hatte sie wieder den Eindruck, sie befänden sich als zwei befreundete Kinder auf dem Weg zu einem verbotenen Abenteuer.
    »Du hast einen Schlüssel?«
    »Wir proben hier«, sagte Olaf.
    Dass es Schulbands gab, die sich regelmäßig zum Üben trafen, gehörte zu den vielen Dingen, die an Ada vorbeigingen wie ein Kinofilm im benachbarten Saal, von dem nur die Geräusche der wichtigsten Schießereien herüberdrangen.
    Das Neonlicht flackerte sich in Position und zeigte lange Reihen von Fahrrädern, die an manchen Stellen umgekippt waren und schräg übereinander lagen. Hier waren die Graffiti ordentlich, sauber zu Ende geführt und mit lesbaren Inschriften versehen; anscheinend hatte es eine organisierte Sprayeraktion gegeben. Der Proberaum befand sich hinter einer weiteren Tür, er blieb dunkel auch bei eingeschaltetem Licht. Drei durchgesessene Zweisitzer standen an den Wänden. Ada und Olaf ließen sich unter dem schmalen, querliegenden Fenster nieder. Draußen erklangen von irgendwoher die schrillen, regelmäßigen Schreie einer schlecht geölten Kinderschaukel.
    »Also?«, sagte Olaf.
    »Willst du eine Zigarette?«
    »Tut mir leid, ich rauche nicht.«
    Ada drehte, obwohl sie keine Lust auf die nächste hatte, gab sich Feuer und paffte ein paar Züge.
    »Ein paar Typen haben mich auf dem Klo überfallen«, sagte sie.
    Olaf hob beide Augenbrauen. Das sollte die einzige Regung bleiben, zu der er sich hinreißen ließ während einer Erzählung, die, einmal in Gang gekommen, zwanzig Minuten und zwei weitere Zigaretten in Anspruch nahm. Als Ada fertig war, schwiegen sie eine Weile. Sie fühlte sich so müde, dass sie am liebsten die Beine unter sich gezogen, den Oberkörper zur Seite geworfen und sich dem Schlaf überlassen hätte.
    »Ich gehe davon aus, dass du nichts unternehmen willst«, sagte Olaf.
    »Woher weißt du das?«
    »Du hättest schätzungsweise nicht ausgerechnet mich als Gesprächspartner ausgesucht, wenn die Planung darin bestünde, einen Riesenzauber zu veranstalten.«
    »Findest du das richtig?«
    Er hob die Achseln.
    »Versteh mich nicht

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