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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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beobachtete, wie er die Treppenstufen zum Neubau hinauflief, plötzlich in Eile. Es waren noch zwei Minuten bis Unterrichtsbeginn. Sie zündete eine Zigarette an. Als sie das Klassenzimmer erreichte, selbst schon einige Minuten zu spät, saß er noch nicht auf seinem Platz, sondern ging irgendwo im Schulgebäude eigenen Geschäften nach. Und wieder folgten vier Wochen, in denen sie kein Wort miteinander sprachen.
    Ada schwingt Macheten und weiß als
    einziger
    Mensch in der Republik, dass Erfurt ein Grund zur Freude war
    B ei sorgfältiger Betrachtung von Smuteks Schädel wurde deutlich, dass sich am hinteren Ende des Scheitels die Haare zu lichten begannen. Ada fixierte die Stelle mit gehässiger Gründlichkeit und hoffte, dass sich das Stück Kopfhaut unter ihren Blicken erhitzen möge. Es war die Attraktivität von Smuteks Gemahlin, für die sie sich an seinem unschuldigen Hinterkopf zu rächen versuchte. Selbst dem üblichen Einwand, eine schöne Frau brächte durch übertriebene Hingabe an ihr Äußeres letztlich bloß eine geistlos polierte Oberfläche hervor, bot sie keine Angriffsfläche. Bei ihr kam der letzte Schliff gerade durch das Fehlen von Schliff zustande. Was aber der Mensch nicht kritisieren, korrigieren und in der Phantasie vollenden darf, dem kann er sich auch nicht nähern, weder in Gedanken noch mit dem Gefühl. Frau Smuteks Schönheit war, jedenfalls im Halbprofil, eine feindliche Absage gegenüber jedem zaghaften Annäherungsversuch. Der massive Vorhang schwarzer Haare erinnerte an das gelackte Fell eines teuren Pelztiers und besaß auch dessen Eigenleben. Den Mund sah Ada, die auf der Rückbank saß, im Spiegel an der heruntergeklappten Sonnenblende, groß, leicht geschürzt, sorgfältig ausgemalt in pfeifendem Rot. Frau Smutek war eine jener Frauen, die selbst nach einer schlaflosen Nacht bleich und niedlich aussehen und in gewöhnlichen Jeans und baumwollenem BH den Prototyp des modernen Engels abgeben. Eine wie sie konnte nicht wissen, was es bedeutete, wenn ein schlanker, beweglicher Verstand in einem stümpernden Leib gefangen war und das Äußere sich weigerte, ein Bildnis des Inneren zu werden.
    Jetzt löste Frau Smutek den Sicherheitsgurt und lehnte sich mit dem Rücken an die Beifahrertür, um ihren Mann während der Fahrt von der Seite ansehen zu können. Sie sprachen polnisch miteinander. Wenn Smutek etwas sagte, schwieg seine Frau, schaute ihn dabei unverwandt an und brach plötzlich in Gelächter aus, in das er bereitwillig einstimmte.
    »Das ist Ada. Sie fährt mit uns.«
    Frau Smutek hatte zustimmend genickt und bei der Begrüßung Adas Hand mit ihren beiden umfasst. Weil Ada schon früher auf Kindergeburtstagen unbeteiligt herumgestanden und sich bei der Reise nach Jerusalem für den ersten fehlenden Stuhl qualifiziert hatte, nahm es nicht wunder, dass der Bus über genau einen Sitz zu wenig verfügte und es irgendwo eine Ersatzbank für sie gab -diesmal im Fond von Smuteks Volvo.
    Den Schulbus hinter sich lassend, schwenkte der Wagen in großzügig bemessenem Bogen vom Sammelplatz. Nach zwanzig Minuten griff Ada zwischen den Sitzen nach vorn, stellte das Autoradio ab, in dem eine Kassette mit kubanischen Rhythmen knapp oberhalb der Hörbarkeitsschwelle vor sich hin dudelte, und stöpselte die Kopfhörer ihres MP3-Geräts in die Ohren.
    My god, my tourniquet, return to me salvation.
    Sofort baute sich etwas auf, das den Namen Schallmauer wirklich verdient hätte. Hinter dieser Wand aus Musik erstreckten sich seit jeher Landschaften, die, egal was in der Welt geschah, unberührt wie eine frisch gefallene Schneedecke blieben. Durch sie glitt der Volvo ohne Bodenhaftung.
    Am I too lost to be saved? Am I too lost?
    So wie sie saßen, vorn zwei Erwachsene, hinten ein junges Mädchen in der typischen kugelsicheren akustischen Weste der Jugend, hätten sie ohne weiteres eine Familie auf dem Weg in den Urlaub abgeben können. Eine Weile befingerte Ada diese Idee, probierte sie an wie ein neues Kleidungsstück und ließ sie fallen, als sie nicht passen wollte. Die beiden Menschen auf den vorderen Sitzen waren ihr völlig gleichgültig, alle drei gemeinsam hatten sie nicht mehr zu bedeuten als ein buntes Werbeplakat. Sei schön. Lebe glücklich. Wir helfen dir dabei. Ada zog eine beidseitig geschliffene Machete hervor, führte sie als Bihänder in den Fäusten und spaltete Frau Smuteks Kopf wie eine reife Melone, dass ihr wässriger, rosafarbener Inhalt sich mit Druck über Kopfstütze,

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