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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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gelehnt, Wangen und Haare zitterten von den Erschütterungen, die Straße und Volvo auf sie übertrugen. Nur Smutek wusste, wie lange er Ada schon auf diese Art überwachte. Als sie die Hände zu den Ohren hob, um die Kopfhörer abzunehmen, ließ er den Rückspiegel in die richtige Position zurückschnappen.
    Im gleichen Moment flog das Ortsschild vorbei. DAHLEM. Sie waren fast da.
    Man gelangt ins nordrhein-westfälische
    Wien und
    geht spazieren. Nicht alle sind mit von der Partie
    T euters Antwort auf die Einfälle zu Wien, Musil und einer Reise in die Salons des frühen zwanzigsten Jahrhunderts hatte nicht mehr als zwanzig Sekunden in Anspruch genommen.
    Ja nee, den Sportplatz haben Sie, das sei Ihnen unbenommen. Aber lassen Sie sich versichern, dass ich Ihnen heute und bis in alle Ewigkeit jede Extrawurst vom Grill nehmen werde. Für einen Kommunisten mag es schwer zu begreifen sein, aber diese Schule ist ein wirtschaftliches Unternehmen!
    Smutek stand wieder einmal vor der Tür, bevor er recht begriffen hatte, dass er bereits hineingegangen war. Höfi empfahl, sich nicht aufzuregen. Dahlem sei hübsch. Es habe, so meinte er wörtlich, gewisse Auswirkungen auf seine Gäste. Er musste es wissen, er fuhr zum sechsten Mal dorthin.
    Weil der Volvo hinten voll gestopft war bis unters Dach und Ada es sich nicht erlauben konnte, vom eintreffenden Schulbus bei niederen Handreichungen ertappt zu werden, lief sie die Strecke zwischen Kofferraum und Eingangshalle dreimal so oft wie Frau Smutek, die langsam ging und jeden Gegenstand einzeln trug. Acht Bildbände über Wien. Postkarten bei Tag, Postkarten bei Nacht, Schönbrunn, Opernring und Südbahnhof. Bücher von Schnitzler, Freud und Ernst Mach, mit denen kein Schüler sich jemals beschäftigen würde. Klimt und Schiele auf DIN A3. Mozartkugeln und Donauwalzer. Ehrgeizig hatte Smutek zusammengerafft, was sich finden ließ, er transportierte eine große Stadt in eine kleine und war ganz Händereiben, als er nach Begrüßung der Herbergseltern aus dem Haus gerannt kam, um beim Tragen der letzten Stücke zu helfen. Tief sog er den Geruch des nahenden Winters, der aus den Wäldern heranwehte, in die Lungen.
    Ada hatte gerade ein beliebiges Zimmer gewählt und eines von sechs Betten belegt, als der Schulbus seine Ladung wie eine platzende Schote über die gekieste Auffahrt entleerte. Nach den ungeschriebenen Gesetzen der Gruppenzugehörigkeit fanden die Schüler mühelos zu sechswertigen Sozialmolekülen zusammen, eingeteilt nach Geschlecht, Wichtigkeit und Schönheit. Das kleine Abenteuer Ortswechsel lärmte vielstimmig durch die Gänge, dann wurde es ruhig, und die Übriggebliebenen tröpfelten zu Ada ins Zimmer. Sie lag mit einem Buch auf dem Bett und schaffte es, selbst unter Außenseitern eine Außenseiterin zu bleiben.
    Während der Wanderung am Nachmittag hielt sie sich in Höfis Nähe, ging in einigem Abstand neben ihm, stand füßescharrend dabei, wenn er mit Smutek sprach, und lachte laut, sobald er einen Witz machte. Von Alev war wenig zu sehen. Er trieb sich mit Internatsschülern herum, rauchte und redete und war immer schon fort, wenn Ada sein scharfkantiges Gesicht mit Blicken suchte.
    Höfi redete viel. Er kannte die Bäume mit Namen, sah in allen Erdhügeln Relikte einer historischen Schlacht, identifizierte die überwachsenen Krater fehlgegangener Bomben im Wald und examinierte nebenher jeden, der in seine Nähe geriet, über historische Detailfragen. Nur wenn Ada ihm zu nahe kam, schlug er mit der flachen Hand nach ihr wie nach einem lästigen Insekt und erwischte sie einmal klatschend am Hinterkopf, dass ihr die blonden Haarfransen von rechts und links über die Ohren flogen.
    »Verschwinde!«, rief er anstelle einer Entschuldigung, »misch dich unters Jungvolk. Du bist Randgruppe, also nutz die Scheißfahrt und integrier dich gefälligst.« »Meinen Bemühungen«, rief sie zurück, »leisten Sie erbitterten Widerstand.«
    »Wir sind Lehrer«, sagte er. »Aus deiner Perspektive gesichtslos und so gut wie tot. Geh und spiel mit den anderen Kindern.«
    »Die anderen Kinder«, sagte Ada, »beschweren sich prätentiös über zu viel körperliche Anstrengung und witzeln darüber, ob wir auf diesem Weg wenigstens nach Bitburg gelangen.«
    Höfi hatte den ganzen Oberkörper nach hinten gelehnt, um mit zusammengekniffenen Augen den Flug eines Eichelhähers zu verfolgen. Ada nutzte die Gelegenheit, um näher heranzukommen, und sprach weiter, als er wieder

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