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Spieltrieb: Roman

Spieltrieb: Roman

Titel: Spieltrieb: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juli Zeh
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Olaf stand neben ihm, und Ada erwiderte, sie werde es sich überlegen. Am Wochenende schloss sie sich im Badezimmer ein, setzte sich auf den Wannenrand und schlug Alevs Buch auf. Evolution of Cooperation.
    Kaum hatte sie zu lesen begonnen, ging es ihr schlecht. Sie konnte sich nicht konzentrieren. Die blaue Woche war vorüber, es galt, den Preis zu entrichten. Ihr Verstand hatte weggehört bei den Verhandlungen, die tagelang hinter repräsentativen Himmeln geführt worden waren, nun wurde das Ergebnis dröhnend in ihrem Kopf verkündet. Es wäre einfacher gewesen, Alev irgendwelche Geständnisse zu machen als sich selbst. Erfahrungsgemäß gab es Dinge nicht, an die man nicht glaubte, sie hörten prompt zu existieren auf oder fingen gar nicht erst damit an. Aber dies hier war eine Ausnahme. Adas ganzes Wollen war eingerastet auf dem Bild einer einzigen Person, auf zwei spitzwinkligen Augen mit dunklen Balken darüber, einem breiten, zum Lachen geneigten Mund. Darin war nichts Vertrautes, nichts, das Wärme versprach, kein Glück und keine Ahnung von Glück. Am Samstagabend war sie bereit, sich damit abzufinden, bereit, Kraft zu schöpfen aus dem Erdulden, bereit, nicht zu kämpfen, egal wofür oder gegen was. Am Sonntag besuchte sie den Brigadegeneral und diskutierte Einsatzstrategien des amerikanischen Militärs. Am Montag lagen dunkle, hässliche Schatten nachwachsender Haare unter den gezupften Augenbrauen, und Alev stand an der Ecke, um den Schulweg gemeinsam zurückzulegen. Die Himmel hatten sich verfinstert und zerquetschten die Stadt unter einer geballten Ladung Saphirgrau.
    Erster Blick in die Spielregeln
    W ie gefällt dir das Buch?«
    Weil Elend und Selbsterkenntnis sich schlecht mit der englischen Sprache vertrugen, hatte Ada nicht mehr geschafft als das Vorwort und die ersten zwanzig Seiten. Zudem verlangte die Mathematik Zugang zu Abteilungen ihres Gehirns, die vollauf mit der Neuberechnung ihrer Persönlichkeit beschäftigt waren. Das sagte sie ihm.
    »Macht nichts. Du brauchst nur ein paar Grundbegriffe, damit wir weiterreden können. Ein kluger Kopf wie deiner wird selbst die Pfade finden, auf denen er sich am besten bewegen kann.«
    In dem Stadtviertel, auf dessen Territorium sie beide ein Bett besaßen, ging es an jedem gewöhnlichen Werktagsmorgen auf feierliche Weise geschäftig zu wie am Weihnachtstag. Liebende Frauen, dezent gepudert und in schmalen Kleidern, verabschiedeten ihre Männer auf den Eingangstreppen der Häuser. Teure Autotüren schmatzten satt ins Schloss. Kinder winkten, die kleinen Tornister auf den Rücken. Hausmeister rollten vor Morgengrauen geleerte Mülltonnen zurück in die Vorgärten. Durch all das spazierte Alev gemessenen Schrittes wie ein Herrscher durch das emsige Treiben in seinem Reich und erklärte den einführenden Teil der Evolution of Cooperation.
    Fangen wir ganz vorne an. Um ein Spiel in Gang zu setzen, braucht man zunächst einen Gegner. Du meinst, die Welt sei voller Gegner? Triff einen von ihnen, setzt euch in die Kneipe, und ihr werdet feststellen, dass ihr euch bestens versteht. Nur ein künstlicher Gegner ist ein echter Gegner. Er darf nicht unbesiegbar sein, er muss in Echtzeit agieren, und seine Aktionen dürfen nicht zu leicht durchschaubar sein.
    Klar?
    Klar.
    Bei Planung und Einsatz der Strategien muss das Wissen des jeweiligen Gegners berücksichtigt werden, aber nicht über eine gewisse Stufe hinaus. Ahnst du schon, was sonst passiert? Stell dich hin. Wir spielen >Welche Hand willst du<.
    Er fasste Ada an den Oberarmen, presste sie gegen die nächstbeste Gartenmauer, warf eine Münze, nahm sie in die Faust und versteckte beide Hände hinter dem Rücken.
    Nun. Du sagst »Rechts«, das war falsch. Nächster Durchgang. Ich glaube, dass du die andere Hand probieren wirst, und behalte die Münze deshalb in der rechten. Weil ich aber weiß, dass wir beide nicht dumm sind, gehe ich davon aus, dass du mich genauso einschätzt, und wechsele die Münze doch in die linke. Aber auch diesen Gedankengang hast du nachvollzogen, weshalb ich vermute, dass du erst recht auf die linke tippen wirst, also geht die Münze zurück, und auch das hast du gewusst, und so fort. Was bedeutet das?
    »Es gibt kein Für und Wider«, sagt Ada, »keine Gründe für rechts oder links. Die menschliche Entscheidung ist nichts weiter als ein vortrefflich einstudiertes Spiel.«
    Wieder griff er nach ihren Oberarmen, riss den Mund zum Lachen auf und kam ihr für eine Sekunde so nah, als

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