Spielwiese: Peter Nachtigalls siebter Fall
dunklen Holztür entlang, registrierten Anzeichen des Verfalls, bemerkten den viel zu breiten Spalt über dem Treppenabsatz. Rund um das Türschloss war der Lack so tief zerkratzt, dass das blanke Holz frei lag. Offenbar traf die Bewohnerin nicht immer gleich beim ersten Versuch. Erinnerungen an viele solche Gespräche drängten sich auf.
Jedes war anders. Man wusste nie, was einen erwartete.
»Nur gut, dass es aus der Mode gekommen ist, den Überbringer einer schlechten Nachricht zu töten«, neckte ihn Ankekatrin, die spürte, wie unwohl Mangold sich fühlte.
»Ich fürchte, so würde unser Beruf noch das letzte bisschen an Attraktivität einbüßen!«, versetzte Mangold und wartete angespannt darauf, dass jemand öffnete.
Dennoch zuckte er erschrocken zusammen, als unvermittelt die Wohnungstür aufgerissen wurde.
Hatte sie schon hinter der Tür gelauert?
Genug Zeit, sich anzuschleichen, hatte sie gehabt. Schließlich mussten die beiden Beamten drei Stockwerke bewältigen.
»Sie wollen zu mir?«, erkundigte sich eine schneidende Stimme unfreundlich.
Sie gehörte einer Frau, die auf den ersten Blick wie ein Kubus wirkte. Ihre Locken waren rosa gefärbt, sie hielt den Kopf, der auf dem großen Würfel winzig aussah, leicht schief, als könne sie so ihr Gegenüber besser erkennen.
»Frau Schaber?«
»Na, Sie werden doch wohl wissen, bei wem Sie geklingelt haben! In Ihrem Alter dürften solche Probleme eigentlich noch nicht auftreten!«
»Wir sind von der Kriminalpolizei. Mein Name ist Mangold, dies ist meine Kollegin Kruse.« Artig zeigte er seinen Ausweis.
Die Frau runzelte die Stirn und spitzte ihre Lippen, als wolle sie pfeifen. Die unzähligen Plisseefalten, die sich dabei bildeten, milderten ihre scharfen Züge nur wenig.
Mit einer raschen Handbewegung schnappte sie den Dienstausweis, kramte umgehend aus der Tasche ihrer Kittelschürze eine Brille hervor und setzte sie umständlich auf. »Nun, scheint ja zu stimmen! Was sollte aber die Polizei von mir wollen?«, meinte sie säuerlich und gab Mangold den Ausweis zurück.
»Das sollten wir besser nicht im Treppenhaus besprechen. Können wir für einen Moment reinkommen?«
Ein bauernschlauer Zug erschien in ihrem Gesicht. Kokett bewegte sie ihren breiten Körper zur linken und neigte den Kopf zu anderen Seite. »So, so. In meine Wohnung wollen Sie also. Es entspricht sonst nicht meiner Art, fremde Männer in meine Wohnung zu bitten, auch wenn sie eine ›Anstandsdame‹ im Schlepptau haben. Schon gar nicht so früh am Morgen. Aber bei der Polizei kann ich wohl eine Ausnahme machen!«, krähte sie so laut, dass es durch das Stiegenhaus schallte.
Sie drängte ihre Besucher in ein völlig mit Möbeln zugestelltes Wohnzimmer und nötigte Mangold, in einem breiten Sessel Platz zu nehmen. Ankekatrin Kruse wurde aufs Sofa eingeladen.
»Das war der Lieblingssessel meines verstorbenen Mannes. Er hat ein Leben lang schwer gearbeitet. Im Tagebau. Er geht in Rente und nicht einmal ein Jahr später ist er tot! Tragisch nenn ich so was!«
»Ihr Sohn …«, begann Mangold und rutschte unbehaglich in dem Sessel des Hausherrn umher.
»… war nicht einmal bei seiner Beerdigung!«, fiel Frau Schaber ihm ins Wort. »Tja, aber so sind die Kinder eben. Undankbar! Wenn sie, wie meiner, im Ausland leben, haben sie für ihr Fernbleiben bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit eine gute Entschuldigung.«
Die Atempause nutzte Mangold und erklärte hastig, um nicht erneut unterbrochen zu werden: »Wir haben Ihren Sohn heute Morgen tot aus der Elbe geborgen. Mein Beileid!«
»Aus der Elbe, sagen Sie? Er konnte noch nie besonders gut schwimmen. Nicht einmal zum Halbschwimmer hat er es damals gebracht. Wie leichtsinnig von ihm, ausgerechnet in der Elbe baden zu gehen. Alkohol vielleicht? Oder er hat es in Brasilien gelernt. Wenn all die gut gebauten jungen Männer am Strand im Meer schwimmen gehen, will man ja nicht zurückstehen.«
»Ihr Sohn hatte keinen Badeunfall. Es handelt sich um Mord!«, stellte Mangold etwas verunsichert durch ihre Gleichgültigkeit klar.
»Mord?«, fragte sie schrill. Das einzige Indiz für eine emotionale Beteiligung. Dem Hauptkommissar grauste.
»Ja. Daran besteht kein Zweifel.«
»Warum hier?«
Hajo Mangold verstand zunächst nicht, was sie damit meinte. Offensichtlich war ihm seine Ratlosigkeit anzusehen, denn Frau Schaber schob die Erklärung umgehend nach.
»Es gibt in jedem Jahr unzählige Morde in Brasilien. Tausende
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