Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spillover

Spillover

Titel: Spillover Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Quammen
Vom Netzwerk:
schöne Gegend für Touristen, die dramatische Landschaftsbilder lieben, und auch ein guter Ort für Fledermäuse, die Schlafquartiere suchen. Wir sind nicht wegen der Landschaft gekommen.
    Bevor wir uns mit den Fledermäusen beschäftigen, nimmt Aleksei mich mit auf einen Lebensmittelmarkt, damit ich einen Eindruck davon bekomme, was die Wirtschaft von Guilin derzeit »über Grund« zu bieten hat. Als wir durch die engen Gänge zwischen den Ständen schlendern, sehe ich fein säuberlich gebündeltes Gemüse. Die Früchte sind sorgfältig aufgetürmt, Pilze sehen aus wie seltsame Zwerge. Rotes Fleisch – Scheiben, Braten und kleinere Stücke – werden meist an großen Sperrholztischen von Frauen verkauft, die scharfe Fleischbeile schwingen. In belüfteten Tanks winden sich Welse, Krebse und Aale. Ochsenfrösche drängen sich in dichten Haufen zusammen. Auf grausige Weise werde ich daran erinnert, wie wir Tiere mit unserem Appetit auf Fleisch zum Untergang verdammen, aber dieser Ort erscheint mir nicht seltsamer oder abstoßender als jeder andere Fleischmarkt auf der Welt. Genau das ist der Punkt: Es ist der »Nachher«-Zustand, und der Gegensatz von Vorher und Nachher macht deutlich, welchen Dämpfer SARS dem yewei versetzt hat. In den letzten Jahren, so erzählt mir Aleksei, ist der Handel mit Wildtieren völlig zum Erliegen gekommen. Im Jahr 2003 sah die Sache ganz anders aus – und auch noch 2006, als er zum ersten Mal die nassen Märkte in Südchina besuchte.
    Auf dem Chatou-Markt in Guangzhou zum Beispiel sah er damals Störche, Möwen, Reiher, Kraniche, Hirsche, Alligatoren, Krokodile, Wildschweine, Marderhunde, Flughörnchen, viele Schlangen und Schildkröten, viele Frösche, aber auch Haushunde und Katzen – und alle wurden als Lebensmittel angeboten. Als er dort war, gab es schon keine Larvenroller mehr – die hatte man bereits dämonisiert und beseitigt. Die gerade genannte Aufzählung enthält nur eine Auswahl; sie beruht auf seinen Erinnerungen und diskreten Beobachtungen des Marktangebots. Zum Verkauf standen auch Leoparden, Muntjaks, Feuerwiesel, Europäische Dachse, Wurzelratten, Schmetterlingsagamen, Kröten sowie eine lange Liste weiterer Reptilien, Amphibien und Säugetiere, darunter auch zwei Fledermausarten. Ein wahrhaft epikureeischer Speisezettel.
    Nach der SARS -Epidemie und dem Wirbel um die Larvenroller erließen die lokalen Behörden (vermutlich nach einigem Druck aus Peking) neue Vorschriften und schränkten den Handel mit Wildtieren auf den Märkten ein. Das Zeitalter der Wildaromen war damit zwar nicht zu Ende, aber es hatte sich in den Untergrund verlagert. »Es gibt in China immer noch eine Menge Leute, die glauben, der Verzehr frischer Wildtiere sei gut für die Atmung, für die Potenz, für alles Mögliche«, sagt Aleksei. Aber heute ist es schwierig, den Handel zu verfolgen, von einer quantitativen Erfassung ganz zu schweigen. Die Markthändler sind misstrauisch, insbesondere gegenüber Ausländern wie Aleksei, die aus dem Westen stammen, nur gebrochen Chinesisch sprechen und dann bei ihnen herumschnüffeln. Wildtiere sind zweifellos nach wie vor erhältlich, aber sie werden unter dem Ladentisch gehandelt, durch die Hintertür mitgenommen oder von einem Lieferwagen aus verkauft, der um 14 Uhr in einer bestimmten Straße hält. Wer heutzutage eine Birma-Sternschildkröte oder einen Muntjak verzehren will, muss jemanden kennen, der jemanden kennt, der jemanden kennt; außerdem muss man Spitzenpreise zahlen und das Geschäft in einem Hinterzimmer abschließen.
    Die nächsten Tage verbringen wir in Guilin und Umgebung mit Fledermausfang. Das Karstgebirge mit seinen vielen durch Erosion entstandenen Hohlräumen bietet eine Fülle von Schlafplätzen. Das Kunststück besteht darin, die Höhlen zu finden, die derzeit genutzt werden. Zum Auskundschaften der guten Stellen und als Helfer für den Fang mit Netzen und die weitere Arbeit hat Aleksei mehrere chinesische Studenten mitgenommen, darunter Guangjian Zhu, einen jungen Ökologen von der East China Normal University in Shanghai. Guangjian hat jahrelange Erfahrung im Umgang mit Fledermäusen: Mit sicherer Hand und in aller Ruhe handhabt er die empfindlichen kleinen Tiere, die bestrebt sind, sich aus dem Fangnetz herauszuwinden, ihn zu beißen und zu entkommen. Guangjian ist klein, schlank und drahtig, ein beweglicher Kletterer und unerschrockener Höhlenforscher – alles Eigenschaften, die ihm bei der Untersuchung von Fledermäusen in

Weitere Kostenlose Bücher