Spion Für Deutschland
bedeutet vier Wochen Staatstrauer.«
»Und was nützt das mir?« fragte ich.
»Während der Staatstrauer wird kein Todesurteil vollstreckt.«
Der Offizier ging. Ich traute meinen Ohren nicht. Aber dann begriff ich es: Franklin Delano Roosevelt hatte mir einen Gefal en erwiesen . . .
Daß der Offizier recht behalten hatte, erfuhr ich am Morgen meiner
Hinrichtung:
Sie fiel aus.
Ein paar Stunden später begannen, von allen amerikanischen
Rundfunkstationen übertragen, die Trauerfeierlichkeiten für Franklin Delano Roosevelt. Ich hörte sie mir an und begriff nichts. Erst ganz langsam mußte ich mich wieder an die Vorstellung gewöhnen, daß ich noch lebte, daß ich einem Zufal zu verdanken hatte, noch nicht gehenkt zu sein. Meine Wächter gratulierten mir überschwenglich. Jeder wollte mir die Hand drücken. Ein Sergeant sagte lachend:
»Lebend bist du uns jedenfalls lieber als tot.«
»Ich mir auch«, entgegnete ich. Niemand nahm es mir übel, daß mir Roosevelts Tod lieber war als mein eigener. Vier Wochen Aufschub. Eine lange Zeit! Eine kurze Zeit! Der Krieg in Europa lief mit Riesenschritten seinem Ende zu. Man konnte sich an den Fingern ausrechnen, wann die letzte Bombe geworfen sein würde. Es war kurz vor der Kapitulation. Aber wie lange dauerte es noch? Wie lange noch? Tage, Wochen? Meine Verteidiger waren zuversichtlich. Ganz Amerika war zuversichtlich. Ich wollte es sein, aber einmal begegnete ich im Hof von Fort Jay meinem Henker. Da war es vorbei mit der Ruhe... Die Kapitulation Deutschlands kam sozusagen pünktlich.
Wiederum beglückwünschten mich alle. Ich wartete ungeduldig auf meine endgültige Begnadigung. Sie blieb aus. Aber es war auch nicht mehr von Hinrichtung die Rede. Es schien einfach so, als ob man mich vergessen hätte.
Dann wurde ich verlegt. Auf amerikanische Weise. Ich wurde in Handschellen durch halb Amerika geschleift. Die Handschellen waren Vorschrift. Meine Begleiter beteuerten dies mindestens dreimal am Tag und sagten, wie leid es ihnen täte. Es kam oft zu den merkwürdigsten Szenen. Die Zivilisten starrten mich an, Schuljungen liefen mir nach, Bürger blieben auf der Straße stehen.
Die Fahrt ging im Fernexpreß vom Staate New York über Pennsylvania, Ohio, Indiana, Illinois nach Missouri. In St. Louis mußten wir den komfortablen Zug verlassen. Wir machten ein paar Stunden Station. Mein Begleitoffizier sagte:
»Ich muß hier Bekannte besuchen, da kann ich Sie nicht brauchen. Ich werde Sie solange in das Stadtgefängnis stecken.«
»All right«, erwiderte ich.
»Aber ich weiß nicht, wie das Essen dort ist«, fuhr er fort, »ich glaube, wir sollten in einem Restaurant speisen.«
Wir blieben in der Bahnhofswirtschaft. Ich habe nie im Leben unter so seltsamen Umständen getafelt. Das Nebenzimmer war von einem Gesangverein besetzt, und wir mußten in den Hauptsaal gehen.
Man nahm mir jetzt die Handschel en ab. Der Captain ließ sich die Gelegenheit zu einer echt amerikanischen Demonstration nicht entgehen. Er gruppierte um den Tisch herum vier baumlange MP-Soldaten, deren Maschinenpistolen genau auf meinen Teller zielten. Sie sahen martialisch aus und blieben mit der Waffe im Anschlag, während ich mein Steak zerkleinerte.
Am Nebentisch saßen amerikanische Wehrmachtshelferinnen — Wacs. Sie sahen fortwährend zu mir her. Sie dachten, daß ich ein amerikanischer Soldat sei, der wegen irgendeines militärischen Vergehens bestraft würde. Sie riefen ständig meinen Bewachern »bäh« zu und streckten ihnen die Zunge heraus. Eine von ihnen, eine hochaufgeschossene Blondine, ging auf den Wachoffizier zu und sagte:
»Macht euch doch nicht so wichtig, Boys, oder habt ihr Angst vor ihm?«
Der Offizier blieb ernst, die Mädchen verspotteten ihn weiter. Ich löffelte meine Eiscreme, dann brachte man mich mit einem Jeep in das Stadtgefängnis.
»Die paar Stunden werden Sie schon überstehen«, sagte mein Begleiter.
Ich wurde von einem bulligen Aufseher in Empfang genommen. Während der Begrüßungszeremonie mußte ich meine Hände auf den Tisch legen, dabei wurde alles aus meinen Taschen geholt und registriert. Es war ohnehin nicht viel. Über dem Schreibtisch des wachhabenden Wärters stand in großen Lettern:
»Wenn es dir nicht gefällt, sag es uns, wenn es dir gefällt, sag es deinen Freunden.«
Ich mußte hellauf lachen.
»Es lohnt sich ja gar nicht, dich in die Zelle zu stecken«, sagte der Aufseher, der viel liebenswürdiger wurde, als meine Bewacher abgezogen
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