Spione kuesst man nicht
Maceys Ratschlag ein. Sei nicht cooler als er! »Das ist schon lange her«, sagte ich. »Nichts Besonderes.«
»Aber jetzt wohnst du hier, oder?«
Die Zielperson redet gern vom Offensichtlichen, was auf eine mangelhafte Beobachtungsgabe und/oder eine Kurzzeitgedächtnisstörung hinweist.
»Ja.« Ich nickte. Und dann wurde es still – unangenehm still. »Ich warte auf meine Mutter«, platzte es schließlich aus mir heraus, als ich an meine Lügengeschichte dachte. »Sie geht zur Abendschule … in der Bibliothek.« Ich zeigte auf das rote Backsteingebäude auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes. »Und ich geh gern mit ihr in die Stadt, weil ich sonst nicht so viel rauskomme.«
Die Zielperson hat sehr blaue Augen, die glitzern, wenn sie jemanden anschauen, den die Zielperson für ein bisschen verrückt hält.
Nach einer langen Zeit echt unangenehmer Stille stand er auf und sagte: »Ich muss los.« Ich wollte ihn bitten, nicht zu gehen, aber selbst mir war klar, dass das wahrscheinlich zu verzweifelt geklungen hätte. Er machte ein paar Schritte, und ich wusste nicht, wie ich ihn aufhalten konnte (natürlich hätte ich schon was gewusst, aber einiges, was mir einfiel, ist nur im Krieg erlaubt).
»Hey«, sagte er, »wie heißt du eigentlich mit Nachnamen?«
»Solomon«, sprudelte es aus mir heraus.
Auweia! Ein Großteil meines zukünftigen Gehalts wird irgendwann darauf verwendet werden, herauszufinden, warum ich ausgerechnet in dem Moment den Namen nannte, aber er war raus, und ich konnte ihn nicht zurücknehmen.
»Stehst du im Buch?«
Im Buch? In welchem Buch?
Er lachte und kam einen Schritt näher. »Kann ich dich anrufen?«, fragte er, als er meine verdutzte Miene sah.
Josh fragte mich, ob er mich anrufen kann! Er wollte meine Telefonnummer haben! Was das bedeutete – was das ehrlich und unwiderruflich bedeutete –, wusste ich nicht. Aber ich war mir ganz sicher, dass die Möglichkeit, mich für »niemand« zu halten, damit ausgeschlossen war. Das änderte aber nichts an der Tatsache, dass das letzte Telefon, das ich benutzt hatte, auch als Elektroschocker dient (aus offensichtlichen Gründen durfte ich ihm deshalb die Nummer nicht geben).
Ich sagte also: »Nein.«
Danach geschah etwas ganz Erstaunliches – Josh sah furchtbar traurig aus! Es war, als hätte ich sein Hündchen überfahren (wobei festzustellen ist, dass bei der Erfindung des Vergleichs natürlich kein echtes Hündchen im Spiel war).
Ich war schockiert. Ich staunte. Ich fühlte mich plötzlich unheimlich stark!
»Nein!«, sagte ich noch einmal. »Nicht nein, du kannst mich nicht anrufen. Ich meinte: Nein, du kannst mich nicht anrufen.« Und als ich seine Verwirrung sah, fügte ich schnell noch hinzu: »Bei mir zu Hause gibt es ganz strenge Regeln.« Keine Lüge.
Er nickte und gab vor, mich zu verstehen. Dann fragte er: »E - Mail?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Ich verstehe.«
»Ich bin morgen wieder da«, sagte ich schnell, um ihn aufzuhalten. »Meine Mutter hat wieder Abendschule. Ich …«
»Okay.« Er nickte und drehte sich um. »Vielleicht seh ich dich.«
»Was zum Teufel hat das denn nun wieder zu bedeuten?«, brüllte ich Macey an, obwohl es nicht ihre Schuld war. Wenn ein Junge fast weint vor Enttäuschung, weil du ihm deine Telefonnummer nicht gibst, und wenn du ihm dann sagst, dass du dich an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit einfinden wirst – wobei die Notwendigkeit einer Telefonnummer beseitigt wird –, und seine Antwort daraufhin »vielleicht seh ich dich« ist, hat man doch Grund zum Brüllen, oder nicht?
»Vielleicht?«, brüllte ich wieder, was möglicherweise übertrieben war, denn ich hatte ja die ganze Strecke bis zum Schloss gehabt, um darüber nachdenken zu können, während meine Zimmergenossinnen den Satz zum ersten Mal hörten.
Liz hatte den Ausdruck im Gesicht, den sie immer bekommt, wenn Dr. Fibs uns sagt, dass wir für die nächste Stundeunsere Gasmasken brauchen – halb Angst, halb Euphorie. Macey lackierte sich die Nägel, und Bex machte in einer Ecke des Zimmers Yoga.
Die meisten Leute werden beim tiefen Ein- und Ausatmen und nach innen Schauen ruhiger – Bex nicht. »Ich könnte ihn außer Gefecht setzen«, bot sie an, und wenn sie in diesem Moment nicht wie eine Brezel verschlungen gewesen wäre, hätte ich mir Gedanken gemacht. Schließlich wusste sie, wo er wohnte.
»Also …«, stammelte Liz. »Du musst vielleicht einfach hingehen, und wenn er
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