Spione kuesst man nicht
Dann beugte er sich näher zu mir und flüsterte: »Ich geb dir einen guten Rat, Cammie. Dieses Leben ist nicht für jeden geeignet, weißt du? Nicht jeder hat es im Blut – der Stress, die Gefahr, die Opfer.« Er langte in seine Tasche und zog eine Visitenkarte hervor. Auf der Karte stand nur eine Telefonnummer auf weißem Hintergrund. »Ruf mich jederzeit an. Bei uns findest du immer einen Platz.«
Er klopfte mir wieder auf die Schulter und ging. Seine Schritte hallten im menschenleeren Korridor wider. Ich beobachtete, wie er um die Ecke bog. Dann zählte ich bis zehn und schlüpfte hinter den Gobelin. Auf halber Strecke durch den Tunnel blieb ich stehen und zog mich um. Ich sah die Karte nie wieder.
I m Kino sieht es immer cool aus, wenn eine Agentin so schnell aus ihrer Hausmädchen-Uniform schlüpft und ein hautenges, sexy Partykleid anzieht, wie ein Fahrstuhl braucht, um drei Stockwerke hochzufahren. Ich weiß ja nicht, wie das bei Fernsehspionen ist, aber ich kann euch versichern, die Kunst des blitzartigen Umziehens setzt sogar mit Klettverschlüssen eine Menge Übung voraus (ganz zu schweigen von einer besseren Beleuchtung als in einem Tunnel, der früher mal zu einer unterirdischen Bahnlinie gehörte).
Als Josh mich am Pavillon entdeckte, bekam ich einen Riesenschreck, weil er mich so komisch ansah. War meine Bluse offen, hing mein Rock in der Unterwäsche oder war vielleicht noch viel Peinlicheres passiert? Ich erstarrte.
»Du siehst …«
Ich hab Lippenstift auf den Zähnen. Meine Haare sind voller Spinnweben. Ich trage zwei verschiedene Schuhe und meine Rückendeckung ist drei Kilometer von mir entfernt!
»… toll aus.«
Ich fühlte mich so wenig unsichtbar wie noch nie. Ich vergaß Bex und Macey mit ihren Modelfiguren und Liz mit ihren fantastischen blonden Haaren. Ich dachte nicht einmal mehr an meine Mutter, als ich mich plötzlich mit seinen Augen sah. Zum ersten Mal seit Langem wollte ich nicht verschwinden.
Dann merkte ich, dass ich an der Reihe war, etwas zu sagen! Er trug eine Lederjacke und khakifarbene Hosen mit messerscharfen Bügelfalten. Ich musste an die Navy Seals denken, die Sondereinheit der Marine, die wahrscheinlich genau in diesem Moment im Teich der Gallagher Akademie ihre neuesten Tricks vorführten. Also sagte ich: »Du siehst echt … sauber aus.«
»Ja.« Er zerrte an seinem Kragen. »Meine Mutter hat es rausgefunden und … also … ähm … du bist gerade noch mal an der Chance vorbeigeschrammt, dir Blümchen anzustecken.« Ich dachte an das eine Mal, als mein Vater meiner Mutter eine Ansteckblume schenkte, die allerdings mit einem optischen Scanner und Kommunikationsgerät ausgerüstet war. Aber die Idee fand ich nicht schlecht.
Ich wollte ihm das gerade sagen, doch Josh hatte schon den Mund aufgemacht. »Tut mir leid, aber wir haben den Film verpasst. Ich hätte mir die Zeiten anschauen sollen, bevor ich dich gefragt habe. Es ging schon um sechs Uhr los.«
Der Einsatz geriet um 19 Uhr in Gefahr, als die Agentin und die Zielperson feststellen mussten, dass sie eine Gelegenheit verpasst hatten – was nach Ansicht der Agentin eine Verschwendung ihres besten Outfits war.
»Oh«, sagte ich und versuchte, nicht zu enttäuscht zu klingen. Liz hatte mir die Haare gemacht. Ich war drei Kilometer imDunkeln gejoggt. Ich hatte mich eine ganze Woche lang darauf gefreut, aber mir blieb nichts anderes übrig, als meine beste Spioninnenmiene aufzusetzen und zu sagen: »Schon okay. Dann geh ich eben –«
»Hast du Lust, dir einen Burger reinzuziehen?«, fragte Josh, bevor ich zu Ende reden konnte.
Einen Burger reinziehen? Ich hatte gerade mit dem stellvertretenden Direktor der CIA ein Filet Mignon gegessen, aber ich hörte mich sagen: »Ja, gern!«
Auf dem Platz gegenüber schienen helle Lichter durch zwei breite Fenster. Wir gingen darauf zu, Josh hielt mir die Tür auf und bedeutete mir mit einer Handbewegung, ich solle eintreten (süß, nicht?). Das Diner hatte einen schwarz-weißen Fußboden im Schachbrettmuster, mit rotem Plastik bezogene Sitzbänke und eine Menge alter Schallplatten und Bilder von Elvis an den Wänden. Der Fünfziger-Jahre-Look war nicht so ganz mein Geschmack, was mich aber nicht davon abhielt, mich auf eine Bank zu schieben – leider mit dem Rücken zum Fenster, da Josh sich den besseren Platz bereits gesichert hatte. (Mr Smith wäre sehr enttäuscht von mir gewesen.) Aber wenigstens merkte Josh nicht, wie meine Beine zitterten.
Die
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