Spionin in eignener Sache
studierte.«
»Statt dessen wird jetzt die Sorte Unsinn angeboten, die ich lehre.
Ich verstehe Ihren Standpunkt, wirklich.«
»Nicht nur das!« ereiferte sich Abbott. »Das Problem sind auch die Erwartungen der Studenten heutzutage. Sie kommen nicht her, um zu lernen, sie kommen her, um zu diskutieren, ehe sie wissen, worüber sie überhaupt reden. Sie verstehen sich bestens darauf, alles in Frage zu stellen, sind aber nicht bereit, das Wissen zu erwerben, das ihnen das Recht dazu gäbe. Sehr altmodische Ansichten, nicht wahr?«
»Nein«, widersprach Kate, die recht angetan von Professor Abbott war. »Das Ganze ist zu weit gegangen, das sehe ich sehr wohl.
Sogar in meinem Fach, der Literatur, wollen sich viele Studenten nicht mehr mit Texten oder, wie man früher sagte, mit Literatur befassen, sondern über die sozialen, kulturellen, geschlechtsspezifi-schen und ökonomischen Bedingungen diskutieren, die einen Text umgeben und in ihn eingegangen sind. Man kann nicht dagegen an, sich ab und zu über diese völlige Interessenverschiebung zu ärgern, aber ich neige doch dazu, darin ein zwar extremes, aber notwendiges Korrektiv der jungen Generation an der alten zu sehen. «
»Das ist sehr großherzig ausgedrückt. Aber warum muß dieses extreme Korrektiv ausgerechnet jetzt sein? Generationen von Jurastudenten akzeptierten die Curriculi, wie sie waren – und die Litera-turstudenten wahrscheinlich ebenso. Warum sollten plötzlich so dramatische Veränderungen nötig sein? Wollen Sie wirklich nichts mehr trinken?«
»Ein Tonic vielleicht«, meinte Kate und ging in Richtung Bar.
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»Erlauben Sie.« Abbott nahm ihr Glas. »Ich bin gleich zurück, rühren Sie sich nicht von der Stelle. Wirklich nur pures Tonic?«
»Bitte.« Seine Galanterie gab ihr einen Moment Zeit, ihre Antwort vorzuformulieren, wofür sie dankbar war.
»Ich habe über Ihre Frage nachgedacht«, begann sie, als er mit dem vollen Glas zurückkam. »Ich glaube, keine Revolution geschieht allmählich oder in gemessenen, wohlüberlegten Schritten, und wir leben mitten in einer Revolution. Für uns Lehrende gibt es zwei Möglichkeiten, darauf zu reagieren: sie zu bekämpfen oder sich ihr anzuschließen – in der Hoffnung, daß es einem in ihrem Verlauf gelingt, die Dinge nicht nur voranzutreiben, sondern auch zu Zu-rückhaltung und Vorsicht zu mahnen. Bei genau diesem Versuch bin ich allerdings zu der Einsicht gekommen – ich spreche ganz offen und wohlgemerkt nur über die Literatur –, daß Behutsamkeit meist fehl am Platze ist, denn die an der Macht, diejenigen, die in den alten, ausgefahrenen Gleisen verharren, rühren sich nicht, solange man ihnen keinen Tritt versetzt. Aber wenn man erst einmal begonnen hat zu treten – wie weit und wohin die Stoßkraft führt, das kann niemand genau absehen.«
»Ja«, bestätigte Abbott. »Das ist mir auch aufgefallen. Deshalb bin ich ja gegen die Treter und verteidige mit all meiner Kraft, was wir haben. Den Stand zu erreichen, den wir heute in der Rechts- und Literaturwissenschaft haben, hat uns schließlich viele Jahre Mühe und Anstrengung gekostet und verdient gewiß Respekt.«
»Auch die Tatsache, daß es ausschließlich Weiße waren, die diese Leistungen vollbrachten und auf dem Weg dahin einige Lügen verbreiteten und Verbrechen begingen? Seit wir das wissen, neigen wir Revolutionäre dazu, alles in Frage zu stellen, vielleicht mehr als nötig.«
»Sie wollen also das Kind mit dem Bade ausschütten?«
»Nein«, sagte Kate. »Wir wollen das Kind nur mit neuen Augen betrachten und das Badewasser wechseln. Aber auf Klischees kann man schlecht bauen, finden Sie nicht?«
»Auf Klischees vielleicht nicht. Auf Weisheit meiner Meinung nach schon.« Jetzt verschanzt er sich wieder hinter seinem pomphaf-ten Gehabe, dachte Kate und bemerkte, wie Abbott über ihre Schulter in den Raum blickte. Als sie sich umdrehte, sah sie Blair mit einem weiteren Mitglied der Dozentenschaft auf sie zukommen.
»Darf ich Ihnen Augustus Slade vorstellen«, sagte er zu Kate. »Kate Fansler, die mit mir zusammen das Rechts- und Literatur-Seminar 59
hält«, erklärte er Slade überflüssigerweise. Offenbar ahnte er aber doch, wie schwer es ihr fiel, all diese Männer voneinander zu unterscheiden, und klärte sie auf: »Professor Slade lehrt Strafrecht.« Kate begrüßte Slade enthusiastischer als ihr zumute war; man konnte den Appetit auf weitere Gespräche mit dieser erlauchten Fakultät verlieren. Vage fragte sie sich,
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