Spitfire: Kühler Tod
erzählt. Zwei Tage lang muss ich die eisigen Blicke von Boots Verbündeten unter den Sekretärinnen über mich ergehen lassen.
Und als wenn das alles noch nicht schlimm genug wäre, muss ich auch noch mit Scotts Jekyll-und-Hyde-Persönlichkeit fertigwerden. Scott reagiert in identischen Situationen völlig unterschiedlich, sodass ich nie weiß, welcher Film gerade gespielt wird.Sowohl am Donnerstag als auch am Freitag konnte ich keinen Tisch zu der von ihm gewünschten Zeit reservieren. Beim ersten Mal benahm er sich, als ob er mit seiner geringen Meinung von mir nur allzu recht gehabt hätte. Das völlige Ausbleiben jeder Reaktion beim zweiten Mal fand ich allerdings noch gruseliger. Er lachte nur kurz auf und sagte, das mache gar nichts.
Am Samstagmorgen klingelt der Wecker, aber das Geräusch ist so unpassend, dass ich gar nicht darauf reagiere. Nickels ist erst sehr spät nach Hause gekommen und liegt jetzt an mich gekuschelt hinter mir. Er streckt den Arm über meinen Kopf und schaltet den Wecker aus. Ich fühle seinen Morgenständer und werde sofort feucht. Wir lieben uns langsam, sinnlich, wie Regenwürmer. Bevor Nickels geht, erklärt er mir, dass ein Auto – mit einem anderen Agenten als Frank – in fünf Minuten vor der Tür stehen wird und dass ich mich bis dahin nicht von der Stelle rühren soll. Ein heiteres Lächeln liegt auf seinem Gesicht und dafür bin wohl ich verantwortlich.
Ehrlichkeit mag ja vielleicht die Basis einer guten Beziehung sein, aber Geheimnisse sind das Salz in der Suppe. Sobald ich sicher bin, dass Nickels das Haus verlassen hat, rufe ich Herpes an. Es läutet mehrmals, dann schaltet sich die Mailbox ein. Ich drücke auf Wiederwahl.
Beim zweiten Klingeln krächzt Herpes »Ich ruf später zurück« in den Hörer.
»Dir auch einen wunderschönen guten Morgen.« Kurz befürchte ich, dass er sofort wieder auflegt, aber dann höre ich das Klicken eines Feuerzeugs und entspanne mich.
Herpes pustet Rauch aus und verkündet: »Ich komme nicht. Geht nicht.«
»Warum nicht?« Ich bin enttäuscht.
»Zu riskant. Was, wenn der FBI-Mann für einen Quickie nach Hause kommt und mich dort findet? Nee, du musst den Aktenkoffer herbringen.«
Ich gebe es zwar nicht gerne zu, aber er hat recht. Ich möchte Herpes wirklich nicht wieder in die Schusslinie bringen. Er missversteht mein Schweigen als Bockigkeit und sagt: »Wie du willst.« Dann legt er auf.
Zwei Sekunden später bin ich angezogen und schleiche mich mit dem Aktenkoffer aus dem Haus. Das Aluminium glänzt in der Sonne wie eine riesige Bierdose. Ich muss einen ganzen Block weit laufen, bevor endlich ein Taxi hält, und habe die ganze Zeit Angst davor, ermordet, ausgeraubt oder von einem Polizisten erwischt zu werden. Ich lasse die Fahrerin einen Umweg machen, bevor ich ihr sage, wohin ich will.
Vor Herpes’ Mietshaus angekommen, klingle ich und er drückt auf den Türöffner. Er erwartet er mich bereits an seiner Wohnungstür. »Ich wusste doch, dass dich deine selbstmörderische Neugierde hertreiben würde«, schmunzelt er.
»Wenigstens kann ich gut mit meinen zerstörerischen Angewohnheiten umgehen«, kontere ich und schiebe mich an ihm vorbei.
Ich war noch nie zuvor in Herpes’ Wohnung, weil er bisher immer bei mir aufkreuzt ist – uneingeladen.
Wie kaum anders zu erwarten, ist seine Bleibe echter Getto-Wohlstandsstil. Das kommt dabei heraus, wenn ein Mensch zu etwas Geld kommt und damit Luxusgüter kauft, sämtliche Grundbedürfnisse aber ignoriert. So steht in Herpes’ Wohnzimmer beispielsweise ein gigantischer HDTV-Fernseher, das dazugehörige Sofa ist allerdings völlig zerschlissen und eines der Kissen fehlt.
Mein Blick fällt auf das Kaffeetischchen, das noch aus den Siebzigerjahren stammen muss. Es ist voller Rotweinglasringe, die ein Muster aus schiefen Smileys ergeben. Auf dem Tisch stehen ein überquellender Aschenbecher und eine Familienpackung Kondome. Nur dass sie keine Gummis, sondern Fernbedienungen enthält. Jep, das ist Herpes.
Ich steuere direkt die Küche an und öffne den Kühlschrank. Das tue ich immer. Schon klar, eigentlich sollte ich nach den Mordfällen Angst vor Kühlschränken haben, aber meine Prägung auf Essen ist einfach stärker als meine Angst.
Im Kühlschrank stapeln sich dubiose Dinge: drei Gläser Senf, ein paar Dosen Red Bull, eine Pizzaschachtel, ein halbes Sandwich und vier Wasserkanister. Fragend sehe ich Herpes an.
»So bleibt der Kühlschrank auch bei einem
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