Spitfire: Kühler Tod
milderem Ton frage ich: »Alles in Ordnung mit dir?«
Er bläst Rauch aus. »Großartig. So lang war’s ja gar nicht. Hätte ich im Kopfstand durchstehen können.«
Ich stelle mir vor, wie der dürre Herpes auf seinem fetthaarigen Kopf steht, umrundet von Häftlingen, die sich ihre Gangabzeichenauf die rasierten Schädel tätowiert haben. Schnell verscheuche ich das Bild, bevor es sich festsetzen kann. »Whim und ich waren Freunde«, sagt Herpes jetzt. »Ich hätte niemals … irgendjemand muss mir den Scheiß untergeschoben haben.«
»Ich weiß. Irgendjemand, den wir beide kennen, hat das getan. Das alles.« Plötzlich fühle ich mich schutzlos, hier auf dem Bürgersteig vor meinem Büro. »Hör mal … ich brauche dich als Schlossknacker. Kannst du am Samstag in Nickels Wohnung kommen?«
»Zu dem Cop?«
»Er ist kein Cop. Er ist beim FBI.«
»Ist ja noch schlimmer!«
»Ach, komm schon, Herpes. Du könntest den Aktenkoffer eines FBI-Agenten aufbrechen. Wie cool ist das denn?«, frage ich eine Spur zu fröhlich.
»Kommt drauf an. Kann ich dann meine Akte durchsehen?«
»Nein!«
»Du willst also, dass ich völlig umsonst meinen Hals riskiere? Was hast du denn geschluckt?«
»Umsonst? Der schwarze Mann weiß, wer wir sind und wo wir wohnen.« Ich höre einen langen Atemzug und setze noch einen drauf. »Je mehr Informationen wir haben, desto besser können wir abschätzen, was der Killer als Nächstes vorhat.«
Er zögert. »Was für ein Schloss ist es denn?«
Ich lächle in mich hinein. »Eines, für das man einen Schlüssel braucht.«
»Die Art des Schlosses, Einstein. Ist es ein Vorhängeschloss oder ein Magnetschloss …?«
»Oh. Es ist so ein Metallaktenkoffer mit zwei kleinen Schlössern dran.«
»Ein Aluminiumkoffer also, okay. Ruf mich am Samstag wieder an, aber nicht zu früh.«
»Bei Sonnenaufgang also«, sage ich und lege schnell auf.
In der Eingangshalle von Royce Durand & Associates habe ich ein Déjà-vu. Wie schon am Vortag sitzt Boots hinter dem Tresen und spricht schnelles Tagalog in den Telefonhörer. Währendich darauf warte, dass sie mich bemerkt, betrachte ich das bunte Blumenarrangement.
Eigentlich wollte ich sie schon gestern fragen, ob sie nicht mit mir den Job tauschen würde, aber jedes Mal, wenn ich in die Eingangshalle gekommen bin, war sie beschäftigt. Als sie mich sieht, legt sie auf. Diesmal kommt sie nicht um den Tresen, um mich zu umarmen. Damit ist der Bann gebrochen und wir befinden uns wieder im Heute.
»Guten Morgen, Tomi. Wie geht’s deinem Kopf?«
»So hart wie eh und je. Hast du mal eine Minute?«
Sie blickt kurz auf die Uhr. »Eher so … 523 Minuten.«
Eine Frau, die kopfrechnen kann. Beeindruckend. »Hör mal … Scott hat mir erzählt, wie toll du alles gemeistert hast, während ich weg war.«
»Wirklich?« Sie strahlt.
Eigentlich nicht, aber natürlich muss er das gedacht haben. »Deshalb wollte ich mal mit dir reden.« Ich erkläre ihr alles über die dreimonatige Probezeit und dass ich doch eigentlich Dokumentarfilme mache. Dann schlage ich vor, dass wir den Job tauschen könnten, wo sie doch alles so super hinkriegt und ja auch schon eingearbeitet ist.
Sie fällt mir fast ins Wort. »Wann kann ich anfangen?«
Meine erste Frage wäre gewesen: »Wie viel kriege ich?«, aber das bin eben ich. »Ich weiß noch nicht genau. Ich kläre das besser gleich mit Scott und komme dann wieder zu dir. Behalt es erst mal noch für dich.«
Ich bin noch nicht mal an der Hintertreppe angekommen, als ich ihre aufgedrehte Stimme sagen höre: »Mum … rat mal.«
Oben angekommen bin ich überrascht, Scott schon am Schreibtisch vorzufinden.
»Einen frohen mexikanischen Unabhängigkeitstag!«, ruft er mir zur Begrüßung zu und streckt mir eine fettige Papiertüte mit Churros hin.
»Danke«, sage ich, obwohl mir Leute, die jeden einzelnen ethnischen Feiertag begehen müssen, auf die Nerven gehen. Dann fällt mir ein, dass der mexikanische Unabhängigkeitstag erst nächsten Monat gefeiert wird. Aber ich behalte es für mich, ich will die Churros nicht wieder hergeben.
»Warum habt ihr da eigentlich gleich zwei Feiertage? Heute und Cinco de Mayo?«
Ich versuche mir ins Gedächtnis zu rufen, was ich aus dem Fernsehen weiß. »Cinco de Mayo erinnert an eine gewonnene Schlacht gegen die Franzosen. Den Krieg haben die Mexikaner allerdings verloren.«
»Wer macht denn daraus einen Feiertag?«
»Desperados … Sierra Tequila? So genau weiß ich das
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