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Spittelmarkt

Spittelmarkt

Titel: Spittelmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernwald Schneider
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sah mich um. Schließlich erblickte ich sie neben Shannon und erkannte seine Hand auf ihrem nackten Rücken. Sie lächelte ihn an, und ich konnte nicht verhindern, dass sich der Stachel der Eifersucht in meinen Unterleib bohrte. Unschlüssig stand ich da und wusste nicht recht, wohin ich mich wenden sollte.
    »Darf ich fragen, wann Sie in New York angekommen sind, Herr Goltz?«, vernahm ich plötzlich neben mir eine Stimme auf Deutsch. Als ich zur Seite sah, erblickte ich einen Mann von Mitte 60 oder auch 70 Jahren, einen hageren, etwas gebeugt stehenden Herrn, dessen dunkles Haar noch voll und nur an den Seiten leicht meliert war.
    Ich konnte mich nicht erinnern, dass er mir bei meiner Ankunft vorgestellt worden war.
    »Mein Name ist Milton«, setzte der Mann hinzu, bevor ich antworten konnte. »Mr. Shannon war so freundlich, mich einzuladen, weil ich ein guter Freund der Familie Farrow bin. Ich habe den Vater von Florence Farrow gut gekannt. Er starb vor zwei Jahren überraschend an einem Herzanfall. Meine Familie ist deutschstämmig, wie die von Florence. Wie ihr Vater war ich bis zu meiner kürzlich erfolgten Emeritierung Professor der Geschichte. Farrow und ich waren am selben College tätig.«
    »Sehr erfreut«, antwortete ich mechanisch, »ich bin seit vorgestern in New York.«
    »Vorgestern? Hm, ich dachte es mir – denn da kam die ›Bremen‹ im Hafen an. Ich erwartete für diesen Tag den Besuch eines deutschen Kollegen, eines Herrn Wolfrath aus Heidelberg. Nach den Unterlagen der Schifffahrtsagentur, bei der ich mich vorgestern erkundigte, befand er sich auf dem Schiff. Ich war am Anlegekai, um ihn abzuholen, und kann mir überhaupt nicht erklären, wie es kam, dass wir uns bei der Ankunft verpasst haben. Das Ganze ist so merkwürdig. Sie sind ihm wohl nicht zufällig an Bord begegnet?«
    Mir wurde heiß. Außerdem fühlte ich, dass ich glühend rot geworden war. Das Ganze war zu überraschend gekommen, um eine körperliche Reaktion zu unterbinden.
    »Ich denke nicht.«
    »Komisch«, murmelte Milton, »es ist wirklich ganz eigenartig.«
    Warum musste mir das passieren? Und vor allem: Warum hatte ich nicht zugegeben, dass ich Wolfrath begegnet war? Natürlich lag es daran, dass ich etwas zu verbergen hatte. Ohne etwas Böses getan zu haben, hatte ich unnötigerweise dadurch Schuld auf mich geladen, dass ich auf der ›Bremen‹ die Wahrheit über den Tod des armen Professors verheimlicht hatte. Die erste Lüge zog nun die nächste wie im Schlepptau hinter sich her.
    Professor Milton blickte mich erwartungsvoll an und erhoffte sich wohl von mir irgendeinen weiteren Hinweis. »Und Ihre reizende Begleiterin – war sie auch auf dem Schiff?«, fragte er. »Sie ist – Ihre Gattin?«
    »Nein, aber sie war ebenfalls auf dem Schiff. Sie können sie gern fragen. Vielleicht war der Herr, den Sie erwartet haben, ja gar nicht an Bord.«
    »Das scheint die einzige Erklärung zu sein, andererseits weiß ich, dass er diese Reise unbedingt machen wollte. Und ich glaube, dass selbst eine mittelschwere Erkrankung ihn nicht davon abgehalten hätte.« Er schüttelte den Kopf, ließ aber nicht locker. »Er ist etwas jünger, um die 60, ein eher kleiner Mann, trägt eine Brille, schütteres Haar und – oh, da ist ja die reizende Dame!«
    Irene war neben uns ins Licht getreten. Sie hielt zwei Cocktailgläser in der Hand, von denen sie mir das eine weiterreichte.
    »Wir sprachen eben über Sie«, sagte Milton, »endlich darf ich Sie kennenlernen, verehrte schöne Frau.« Er machte sich selbst mit Irene bekannt und kam dann unverzüglich auf sein Anliegen zurück. »Ich habe mich gefragt, ob Sie wohl einem Herrn Wolfrath aus Heidelberg an Bord der ›Bremen‹ begegnet sind. Ich erwartete ihn im Hafen, und er ist eigenartigerweise nicht von Bord gegangen.« Er beschrieb auch Irene das Äußere von Wolfrath und fügte hinzu: »Er ist Professor für mittelalterliche Geschichte.«
    Irene legte die Stirn in Falten, doch bevor sie etwas sagen konnte, ergriff ich meine Chance, etwas wieder gutzumachen und dem Gespräch eine andere Wendung zu geben.
    »Mittelalterliche Geschichte?«, hakte ich nach. »Wenn ich Ihre Beschreibung jetzt nochmals höre, Mr. Milton, fällt mir indes jemand ein, dem ich an Bord der ›Bremen‹ begegnet bin. An einem der Abende hatte ich in der Bord-Bar ein Gespräch mit einem Herrn, der – wie er sagte – mit Arbeiten in mittelalterlicher Geschichte einen wissenschaftlichen Ruf begründet hätte. Er

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