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Spittelmarkt

Spittelmarkt

Titel: Spittelmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernwald Schneider
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wollte in den Staaten eine Vortragsreihe halten. Ja, ich glaube, Ihre Beschreibung passt auf ihn. Ich bin nicht sicher, es mag sein, dass er es war.«
    »Oh, das war er ganz bestimmt«, sagte Milton, »also war er doch auf dem Schiff! Habe ich es mir doch gedacht! Haben Sie oder die Dame ihn auch bei der Ankunft gesehen?«
    »Nein, ich kann mich nicht erinnern«, erwiderte ich, worauf Irene entgegnete: »Denken Sie denn, er sei unterwegs verloren gegangen?«
    »Oh, meine Liebe, machen Sie keine Witze! Ich mag an alles denken, nur nicht daran, er könne über Bord gespült worden sein.«
    »So etwas ist auf der ›Bremen‹ ganz und gar unmöglich«, beruhigte ich ihn. »Sie sollten einmal bei der Schifffahrtsagentur nachfragen. Falls ihm an Bord etwas zugestoßen ist, wird man es dort wissen.«
    »Stimmt, ich sollte dort einmal nach ihm fragen. Beim letzten Mal lag die ›Bremen‹ erst ein paar Stunden im Hafen.«
    Irenes Blick wanderte von Milton zu mir. Sie hob ihr Glas und stieß es leicht gegen das meine.
    Ich war glücklich, dass sie zu mir gekommen war, lächelte ihr zu und nahm einen Schluck. »Mr. Shannon wartet auf mich«, sagte sie leise und berührte dabei meine Hand, »wir sehen uns später.«
    Der Professor sah ihr nach. »Mein Gott! Niemals zuvor in meinem Leben habe ich eine so schöne Frau gesehen; man wird richtig benommen, wenn man in ihrer Nähe ist.«
    »Sie sprechen mir aus der Seele«, bestätigte ich ihm und setzte das Glas an den Mund. Ich wusste nicht, was ich trank, aber der Drink war genau das, was ich im Augenblick brauchte.
    »Der gute Wolfrath hat sich in Deutschland nicht mehr wohl gefühlt«, sagte Milton nach einer Weile. »Und er hat recht. Die Lage in Ihrem Heimatland ist bedenklich ernst geworden! Die dunklen Kräfte sammeln sich zur Schlacht. Fast will es mir scheinen, als hätten sie den Sieg bereits davongetragen.«
    »Die Lage ist nicht hoffnungslos«, erwiderte ich, während ich überlegte, wie ich mich am besten davonmachen konnte. »Die wirtschaftliche Talsohle scheint durchschritten zu sein. Schlimmer als im letzten Winter kann es nicht mehr werden.«
    Eine Weile schien Milton nachzusinnen, dann verkündete er: »Die Hoffnungen vieler Ihrer Landsleute sind auf einen starken Mann gerichtet, sie sehnen ihn herbei, damit er das deutsche Volk zu neuen Ufern führt. Sind Sie ein Anhänger von Herrn Hitler?«
    »Nein, allerdings denke ich manchmal, man sollte ihm eine Chance geben, es besser zu machen als die anderen, über die er so laut schreit. Sei es auch nur, damit er begreift, dass er es nicht besser meistern kann als diejenigen, denen er seinen Hass entgegenbrüllt!«
    Milton sah mich entsetzt an. »Entschuldigen Sie, Herr Goltz, das ist eine äußerst seltsame Ansicht! Nur weil er schreit, gibt man ihm schließlich nach?« Er schüttelte den Kopf. »Aber so sind die Deutschen! Dabei ist sein Getobe nicht einmal echt, es ist nur gespielt und soll anderes verdecken. Ich fürchte, Ihr Land geht schlimmen Zeiten entgegen!«
    Mir war plötzlich ganz seltsam zumute. Ein eigenartiger Schwindel hatte mich erfasst. »Ach, Mr. Milton!«, gelang es mir noch zu sagen, doch es war nicht mehr als ein Murmeln, das im allgemeinen Geräuschpegel unterging. »Wovon sprechen Sie?«
    Milton blieb stumm. Das laute Stimmengewirr der Menschen auf der Party, die Klänge der Musik, all das hörte ich wieder ganz deutlich, und dennoch waren diese Geräusche merkwürdig fern und erreichten mich in ihrer wirklichen Intensität nicht mehr. Von einem Moment zum anderen hatte sich etwas verändert, allerdings konnte ich mir nicht erklären, was es war. Ich versuchte, es abzuschütteln, was mir nicht gelang. Sowie ich wieder zu Milton sah, hatte ich das Gefühl, als ob mir dessen Augen bedrohlich nahe gekommen waren. Ich sah farbige Punkte in ihnen blitzen, umgeben von einem unheimlichen Glanz.
    Er schien wieder zu sprechen. Ich starrte nur auf die merkwürdig langsamen und grotesken Bewegungen seiner Lippen und wartete vergeblich darauf, dass seine Stimme zu mir durchdrang. Obendrein begann Miltons Gestalt nun vor meinen Augen zu verschwimmen und sich in grelle Farben aufzulösen, nur sein Mund war überdeutlich zu sehen und ging immer wieder auf und zu – er sagte wohl wirklich etwas –, gleichwohl verstand ich nichts, absolut nichts, sondern hatte nur noch Augen für diesen Mund.
    Mit einer große Kraftanstrengung bekam ich es hin, die Augen davon weg und hinüber zum Fenster zu richten; doch das

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