Splitter im Auge - Kriminalroman
zu den Leuten aus Burkina Faso führten. Wie er dabei angesehen wurde, hing stark davon ab, ob die Leute schon Dreck am Stecken hatten. Diejenigen, die sich die Wartezeit auf ihren Bescheid und die quälende Langeweile damit verkürzten zu dealen, zu stehlen oder irgendwelchen anderen Scheiß anzustellen, erkannten in ihm den Bullen in der Sekunde, in der sie ihn sahen. Die anderen, die ihn für jemanden Offiziellen hielten, der in ihrer Angelegenheit vielleicht wichtig sein konnte, legten eine manchmal verzweifelte Unterwürfigkeit an den Tag, etwas schweigend Bettelndes, mit dem sie ihren ganzen Stolz und ihre Würde über Bord warfen. Die waren ihm entsetzlich unangenehm. Die Kinder waren okay. Er mochte Kinder nicht besonders und hätte sich nicht vorstellen können, welche zu haben, aber die meisten hier gaben ihm einfach einen Vorschuss an Vertrauen. Das machte die Begegnungen leichter, fand er, und das war nicht der schlechteste Anfang.
Er hatte Glück gehabt, Daouda Bamogo war da, saß mit anderen Schwarzen in einer Küche, und sie kochten etwas, was für Steiger völlig fremd, aber angenehm roch.
Bamogo war ein großer Kerl mit Rastalocken, der ständig lachte und fehler- und akzentfrei Deutsch sprach. Steiger wunderte sich zwar darüber, fragte den Afrikaner aber nicht, woher er seine Sprachkenntnisse hatte. Anders als Yameogo war er polizeilich bisher sauber, was nichts heißen musste, vielleicht war er einfach noch nicht erwischt worden.
Als Steiger ihn nach der Sache mit dem Passat gefragt hatte, war er sich immer noch ebenso sicher gewesen, das richtige Kennzeichen abgelesen zu haben, wie es in dem Bericht geklungen hatte. Er sagte, solche Dinge mit den Initialen seien in seiner Heimat ein Omen, ein gutes Omen, deshalb sei ihm das aufgefallen. Auch den Fahrer beschrieb er jetzt so, wie Steiger es in der Vernehmung gelesen hatte. Hinterher habe er dann gehört, dass es Yameogo am Tag vorher sehr schlecht gegangen sei, das habe er damals aber noch nicht gewusst, als die Polizei ihn gefragt habe. Yameogo habe nachmittags im Bett gelegen und sei kaum ansprechbar gewesen. Bamogo hatte einen Hünen mit Glatze und perfekten Zähnen, der auf einer Arbeitsplatte Grünzeug schnitt, in seiner Sprache darauf angesprochen. Der hatte genickt, und Bamogo bestätigte das mit der Krankheit noch einmal. Mehr könne er zu Yameogo aber eigentlich nicht sagen, weil der meist ein ziemlicher Einzelgänger gewesen sei. An solchen Kochaktionen habe er zum Beispiel nie teilgenommen. Aber beim Kennzeichen, das hatte der Rastamann zum Schluss noch einmal bestätigt, da sei er sich sehr sicher.
Für Steiger wurde die Sache dadurch immer abstruser. Wenn Yameogo in dieses Auto gestiegen war, wer war dann der Fahrer? War er ein Kunde, war es einfach nur ein Drogengeschäft gewesen? War es der Mittäter, den sie immer ausgeschlossen hatten, und hatte er ihn deshalb verschwiegen? Oder täuschte sich Bamogo doch? Vielleicht nicht nur beim Kennzeichen, vielleicht auch bei den Menschen, die in das Auto eingestiegen waren?
Seit fast dreißig Jahren befragte Steiger nun schon Leute, ob sie zu bestimmten Zeiten etwas wahrgenommen, etwas gehört oder gesehen hatten, und ihm fielen ohne große Anstrengung etliche Situationen ein, in denen Zeugen mit ihrem Blut unterschrieben hätten, eine Sache sei so oder so gelaufen, todsicher. Aber die Ermittlungen hatten hinterher ergeben, dass alles völliger Unsinn war. Er hielt deshalb nichts für unmöglich. Aber wie hatte Renate Winkler gesagt? Manchmal muss man sich auch beim Ermitteln auf sein Gefühl verlassen. Und das sagte ihm, dass sich dieser Schwarze nicht irrte.
Lewandowski machte das dritte Tor für die Gelben, und das war’s für Steiger, mehr konnte er heute Abend nicht ertragen. Er stand auf, drängelte sich an den Knien meist schimpfender Menschen in blauen Trikots vorbei und verließ die Arena.
Den Wagen hatte er wie immer auf dem Parkplatz eines großen Lebensmittelmarktes in Gelsenkirchen geparkt, deshalb hatte er jetzt eine Viertelstunde Zeit, seinen Frust beim Gehen loszuwerden.
Zum ersten Mal war er auf Schalke gewesen, als sein Vater ihn mitgenommen hatte, damals noch in die Glückauf-Kampfbahn. Er wusste nicht mehr, wie alt er damals gewesen war, vielleicht zehn oder elf, er wusste aber noch, dass er von der ersten Minute an, als er das Stadion betrat, das Gefühl hatte dazuzugehören, dabei zu sein, wenn etwas Großes geschieht.
Sein Vater hatte ihm in der Halbzeit eine
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