Splitter
verdammter Scheißkerl, wieso nicht?« Sein Atem schlug dichte Wolken, als er sich seinem Bruder in den Weg stellte. Bennys Wohnung lag in einer verkehrsberuhigten Kopfsteinpflasterstraße, deren Parkhäfen so angeordnet waren, dass der Verkehr ausgebremst wurde. Die zahlreichen Geschäfte, deren Schaufenster die Gegend ausleuchteten, entsprachen dem Klischee des Bezirks. Wer nach Prenzlberg zog war hip, modern, umweltbewusst, kinderlieb und aufgeklärt. In der Regel war er also kein Berliner, und so dominierten spanische Delikatessenläden, englischsprachige Kitas, indische Teehäuser und alternative Designerstores die Ladenzeilen. Die Gegend rund um den Kollwitzplatz zählte zu den kinderreichsten Regionen Europas, und daher war es kein Wunder, dass die Straße wie ausgestorben wirkte. Die berufstätigen Eltern hatten noch einige Stunden, bevor der Wecker klingelte. Die Künstler und Studenten schliefen ohnehin oder schlugen sich die Nacht zwei Straßen weiter um die Ohren, wo es noch Kneipen und Bars gab, die geöffnet hatten.
»Hey, ich rede mit dir. Wieso kannst du mir nicht einen letzten Gefallen tun, bevor ich für immer aus deinem Leben verschwinde?«
»Weil das Nummernschild dich nicht weiterbringen wird.« Sein Bruder zog die Augenbrauen zusammen und starrte über die Schulter an ihm vorbei auf die Straße. Marc witterte eine Falle und unterdrückte den Wunsch, sich umzudrehen. »Woher willst du das wissen?«
»Ich hab’s bereits überprüft.«
»Wie denn? Du hast doch noch niemanden angerufen.« Oder doch? Hatte er unbemerkt eine SMS geschickt, die eben gerade beantwortet worden war? Mare war sich nicht sicher, viel zu viel war heute bereits geschehen, was er sich nicht erklären konnte. »Dazu musste ich niemanden anrufen«, sagte Benny und deutete auf die gegenüberliegende Straßenseite. Marc drehte sich um, und sein Herz setzte aus. Der Krankenwagen stand auf der anderen Straßenseite in einer Einfahrt neben einem Coffeeshop. Wie auf Kommando startete der Fahrer den Motor und rollte langsam auf die Straße.
Diesmal waren die Insassen hinter der dunklen Windschutzscheibe nicht zu erkennen. Dafür aber das beleuchtete Nummernschild:
B-Q 1371 »Was zum Teufel geht hier vor?«, fragte Marc und schnellte herum. Der Mauervorsprung war leer, Emma saß nicht mehr darauf, sondern stand jetzt dicht hinter ihnen und richtete den Lauf von Bennys Pistole direkt auf seinen Kopf.
42. Kapitel
»Also doch!« Marc war nahezu erleichtert, sich endlich einmal nicht getäuscht zu haben. Emma war doch eine Bedrohung. Sie stand nicht auf seiner Seite des Abgrunds, und wenn, dann nur, um ihn hineinzustoßen. Alles nur ein Täuschungsmanöver. Die Akte im Hotelzimmer, das Foto von Sandra, Emmas Bewusstlosigkeit, die es ihr ermöglicht hat, an Bennys Waffe zu kommen, während er sie die Treppe heruntergewuchtet hatte.
»Wir müssen abhauen«, keuchte Emma heiser und wirkte immer noch völlig kraftlos. Das rundliche Gesicht war noch aufgedunsener, verschwitzt und hatte dunkelrot geäderte Wangen. Ihre Augen flatterten müde, aber immerhin verfügte sie noch über genügend Kraft, um die Waffe im Sekundentakt zwischen ihm und seinem Bruder hin und her zu schwenken. Dabei warf sie gehetzte Blicke zum Krankenwagen, der jetzt im Schritttempo an ihnen vorbeifuhr, vermutlich, weil der Fahrer rechtzeitig die Schusswaffe in Emmas Hand gesehen hatte und sich keiner weiteren Auseinandersetzung stellen wollte. « Was soll ich tun? », fragte Marc ruhig. Sein Bewusstseinszustand hatte sich automatisch in einen fast teilnahmslosen Modus geschaltet, den er sich in der jahrelangen Konfliktarbeit mit seinen Straßenkindern angeeignet hatte.
»Zu meinem Auto, bitte!« Sie deutete auf ihren Käfer, der mit einem Rad auf dem Bordstein etwa zwanzig Schritte von ihnen entfernt in einer Haltebucht stand. »Okay, ich komme mit Ihnen«, antwortete Mare. »Aber erst müssen Sie mir die Waffe geben.«
»Nein.« Emmas Stimme überschlug sich. »Begreifen Sie denn nicht? Wir sind in Gefahr. Schnell!« Die letzten Worte schrie sie: »Wir müssen hier weg.«
»RUHE!«
Alle drei rissen die Köpfe zum Eingang des Nachbarhauses herum, konnten aber niemanden erkennen. Der Mann, der sie angebrüllt hatte, war nirgends zu sehen. Dafür stand das Eingangstor weit offen, und die dahinterliegende Einfahrt lag in völliger Dunkelheit. »Wer ist da?«, fragte Emma und warf noch einmal einen Blick über die Schulter. Statt einer Antwort hörten sie ein
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