Splitter
leises Kratzen, gefolgt von dem metallischen Rasseln einer Kette, die über einen harten Stein geschleift wurde. »Hallo?«, fragte sie noch einmal, und dann wurde die ohnehin schon skurrile Situation vollends absurd, denn plötzlich lugte der pelzige Kopf eines Hundes durch das Tor. Der grauschwarze Retrievermix sah direkt zu ihnen herüber, gähnte mit weit aufgerissenem Maul und trat unbekümmert in den Regen. Sein dichtes Fell war so verfilzt, dass die Tropfen nur die oberste Schicht durchdringen konnten.
»Komm zurück, Freddy«, lallte die brüchige Stimme, die eben noch gebrüllt hatte. »Komm her und schlaf weiter.« Nur ein Penner. Wir haben einen Obdachlosen gestört. Emmas Erleichterung war ihr anzusehen. Der einzige Zeuge ihrer Auseinandersetzung war ein harmloser Stadtstreicher, der gemeinsam mit einem Straßenköter sein Lager in einem offen stehenden Hauseingang aufgeschlagen hatte. Sie konzentrierte sich wieder auf Marc und Benny und wies ihnen mit der Pistole den Weg zum Wagen. »Wohin wollen Sie?«
»Erst mal nur weg. Aber ohne den da.« Sie deutete zu Benny, der mit den Achseln zuckte.
»Soll mir recht sein.«
»Okay, wir klären das«, bat Marc so sanft wie möglich. »Aber erst müssen Sie mir die Waffe geben.«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das kann ich nicht. Los!« Emma wurde wieder hysterisch und brüllte die letzten Worte voller Verzweiflung: »Sonst wird er uns auch töten.« Marc warf erst Benny, dann Emma einen verstörten Blick zu. »Töten?«
»Ja, er ist böse.«
Trotz der kleinkindlichen Wortwahl hatte ihre Stimme nichts Niedliches.
»Böse? Was meinen Sie damit?«
»Haben Sie es nicht gerochen?«, schrie sie, und der Hund, der sich wieder zu seinem Herrchen zurückgezogen hatte, schlug an.
»Gerochen?«
»Das war doch ganz deutlich. Der Gestank in seiner Wohnung.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
Marcs Verwirrung wuchs in gleichem Maße wie seine Kopfschmerzen. Er musste so schnell wie möglich wieder eine Tablette nehmen.
Emma öffnete die Wagentür. »Er hat sie umgebracht. Das kleine Mädchen im Badezimmer. Ich bin dem Geruch nachgegangen und hab sie gefunden.«
»Die Alte ist paranoid«, sagte Benny und sprach damit aus, was Marc dachte.
»Steigen Sie bitte ein«, flehte Emma etwas leiser. »Nur Sie, Marc. Ohne Ihren Bruder. Sie müssen mir vertrauen.«
»Vertrauen?« Marc hatte Mühe, die Fassung zu bewahren. Das Einzige, was ihn davon abhielt, ihr ins Gesicht zu schlagen, war die Waffe in ihrer Hand.
»J a, ich kann Ihnen alles erklären.«
»Dann fangen Sie am besten gleich mal mit dem Autokennzeichen an. Warum haben Sie gelogen?« Emmas Zittern wurde wieder stärker. »Mir fiel so schnell nichts Besseres ein.«
Benny wollte etwas sagen, aber Marc kam ihm zuvor. »Also stecken Sie mit denen unter einer Decke, ja? Die haben Sie engagiert, um mich in den Wahnsinn zu treiben?«
»Nein.«
»Weshalb? Wer hat ein Interesse daran, mich zu zerstören?«
»Das ist die richtige Frage, aber ich kann Sie Ihnen nicht beantworten, Mare.« Dann wiederholte sie: »Bitte, Sie müssen mir vertrauen.«
»Sagt eine Frau, die angeblich Leichen riechen kann und mit einer geklauten Waffe vor uns rumfuchtelt.« Benny lachte auf.
Mare nickte zustimmend, obwohl etwas in Emmas Stimme ihn verwirrt hatte. Entweder war sie eine verdammt gute Schauspielerin, oder sie war wirklich davon überzeugt, ihr Verhalten rechtfertigen zu können.
»Hören Sie, Mare. Ich wusste, Sie glauben mir nicht, dass ich Ihre Frau gesehen habe. Ihnen reichte ja noch nicht einmal das Foto von Sandra.«
Emma zog mit der linken Hand ihr Handy aus der Jackentasche, aktivierte das Display und reichte es ihm. »Sie waren vorhin so misstrauisch, und ich wollte nicht schon wieder alleingelassen werden. Also hab ich einfach schnell irgendein Kennzeichen erfunden. Das erste, das mir einfiel. Von dem Krankenwagen, der mich schon die ganze Zeit verfolgt, seit ich aus der Klinik ausgebrochen bin.«
»Das ist doch schon wieder so eine verdammte …« … Lüge, hatte Mare den Satz vollenden wollen, bevor er ins Stocken geriet, weil sein Bruder ihm das Handy aus der Hand nahm.
»Moment mal«, sagte Benny und drehte das Display um neunzig Grad. »Das haben Sie aufgenommen?«
»Ja.« Emma sah ihn misstrauisch an. »Wieso?«
»Ein gelber Volvo?«
»Ja.«
»Mit einer Beule an der Seite?«
Emma nickte heftiger, auch wenn sie keine Ahnung zu haben schien, worauf das Verhör hinauslaufen sollte. »Rechts oder
Weitere Kostenlose Bücher