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Splitter

Splitter

Titel: Splitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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und beugte sich nach vorne.
    »Haben Sie schon mal etwas von dem Seelenbrecher gehört?«, beantwortete Benny die Frage mit einer Gegenfrage. Seine Stimme klang weniger feindselig, und auch der Umstand, dass Emma ihn von sich aus angesprochen hatte, deutete auf eine leichte Annäherung der beiden. Offenbar waren Haberlands Worte in ihren Ohren doch nicht völlig wirkungslos verklungen.
    »Von den Frauen, die verschleppt wurden und dann, wie lebendig in ihrem eigenen Körper begraben, wieder aufgefunden wurden?« Er sah in den Rückspiegel. »Nein? Vermutlich auch besser so.« Marc wandte sich zu Benny um und spürte zum ersten Mal bewusst, dass ihn kein Halsverband mehr störte. Ein angenehmes, aber zugleich furchteinflößendes Gefühl.
    »Was hat Haberland damit zu tun?«
    »Das ist eine wirre Geschichte, die er mir während einer unserer Therapiesitzungen andeutungsweise erzählt hat. Sie hat sich am anderen Ende der Stadt abgespielt, ungefähr dort, wo du jetzt unbedingt hinwillst.«
    Sie passierten ein Hinweisschild zur A 113. Auf der anderen Straßenseite hatten sich mehrere Menschen in einem Wartehäuschen einer Bushaltestelle zusammengerottet, um Schutz zu suchen, doch der Wind trieb den Schnee fast waagerecht über Straßen und Bürgersteige und verschonte nur die, die im inneren Kreis standen. Obwohl Marc von einer Sitzheizung gewärmt wurde und er die heiße Luft aus den Düsen direkt auf der Brust spürte, fühlte er sich ebenso schutzlos wie die Passanten. Die Kälte, der er ausgesetzt war, war jedoch eine andere. Sie kam von innen. Constantin.
    Zweimal die Woche war er zum Verbandswechsel gekommen. Zweimal die Woche hatte er es als besondere Fürsorge empfunden, wenn sein Schwiegervater sich persönlich um ihn gekümmert hatte, anstatt die Aufgabe einer seiner Schwestern zu überlassen. Marc hatte mit der Angst einer Querschnittslähmung gelebt, ihm war geraten worden, hektische Bewegungen zu vermeiden, er durfte keinen Sport treiben, die Wunde nicht berühren, selbst Wasser sollte er nicht an die Wunde geraten lassen, was das Duschen zum Balanceakt gemacht hatte. Alles gelogen, und alles nur zu einem Zweck.
    Kein Splitter - keine Wunde. Keine Wunde - kein Grund, regelmäßig Tabletten zu nehmen.
    Deshalb also hatte der Apotheker die Medikamente nicht vorrätig gehabt. Es waren sicher keine Immunsuppressiva, die er täglich schlucken sollte, sondern Tabletten, die vermutlich dazu dienten, seinen Verstand auszuschalten; ihn zu lähmen, oder gar zu verändern. Starke Psychopharmaka, so wie Stoya, der Polizist es ihm vorhin auf dem Revier vorgehalten hatte.
    Marc zog das Plastiktütchen mit den unbezahlten Medikamenten aus der Jackentasche und nahm ein Aspirin heraus. Zwar fühlte er sich besser als noch vor ein paar Stunden, aber die Grundsymptomatik - der Schwindel, die Übelkeit und die bleierne Schwere seiner Glieder - war nicht verschwunden.
    »Was hat Haberland mir eigentlich gegeben?«, fragte er Benny und überlegte, wie sein Magen wohl reagieren würde, wenn er die Tablette ohne Wasser schluckte. »Nichts.«
    Sein Bruder scherte nach rechts auf die Beschleunigungsspur der Auffahrt zur Stadtautobahn. Die Scheibenwischer kämpften wütend gegen die Flocken an, die nicht auf der Windschutzscheibe haften blieben, aber dennoch die Sicht verklebten. »Der liebe Professor hatte in seiner Hütte nichts Brauchbares da«, erklärte er mit Blick auf die Tüte in Marcs Händen. »Das letzte Paracetamol hat deine Freundin da hinten bekommen.«
    Aber was ist dann mit dem Pflaster? Dem Einstich in meinem Arm?, wollte Marc fragen, doch dann erinnerte er sich an die Blutentnahme in der BleibtreuKlinik. Die Vorbereitungsmaßnahmen für ein Amnesieexperiment, an dem er niemals teilgenommen hatte und in dem er dennoch mittendrin zu stecken schien.
    Geht es mir etwa besser, da die Wirkung der Tabletten nachlässt? Sehe ich klarer, seitdem ich sie nicht mehr nehme? Hatte ich nur kurzfristige Entzugserscheinungen und bin jetzt auf dem Weg der Besserung?
    Sie fuhren die verwaiste Stadtautobahn Richtung Norden. Anders als bei Regen, der regelmäßig wie eine Thrombose den Verkehr auf den Adern der Hauptstadt zum Stocken brachte, hatte der erste Schnee des Jahres immer eine reinigende Wirkung. Die Straßen leerten sich, und wenn man mutig war oder ein sicheres Auto fuhr, kam man schneller voran als in der Rushhour. Auch jetzt waren die Lichter der anderen Fahrzeuge vor und hinter ihnen so weit entfernt, dass man sie kaum

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