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Splitter

Splitter

Titel: Splitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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Tabletten?«
    Marc berührte den Verband an seinem Nacken. »Ah ja.« Haberland ging einen Schritt um ihn herum. »Gut, dass Sie es ansprechen.«
    »Was?«
    »Vorhin, als ich Ihren Kopf nach äußeren Verletzungen untersuchte, habe ich mir erlaubt, den Verband zu wechseln. Weshalb tragen Sie ihn?«
    »Da ist ein Splitter in meinem Hals.«
    Der Professor zog ungläubig die Augenbrauen nach oben. »Sind Sie sicher?«
    »Natürlich. Hey, was machen Sie da?«
    Marc konnte gar nicht so schnell reagieren, wie der alte Mann mit einer einzigen Bewegung den lachsfarbenen Leukoplaststreifen gelöst hatte, der die Mullbinde auf der Wunde hielt.
    »Sie können es zwar nicht sehen, aber fassen Sie ruhig mal hin.«
    Wieso sollte ich? Constantin hat mir gesagt, das muss steril bleiben.
    »Na los doch.« Haberland führte jetzt selbst seine Hand, und Marc zuckte zusammen. Nicht vor Schmerz, sondern weil er gar nichts spürte. Nichts, außer nackter, gesunder Haut.
    »Sie haben dort keine Wunde«, bestätigte Haberland seine grauenhaften Empfindungen.
    Kein Splitter.
    »Und es sieht auch nicht danach aus, als ob da jemals eine gewesen wäre.«

55. Kapitel
    Der Schnee kam ohne Vorwarnung. Noch war seine Konsistenz zu fein und luftig, um liegenzubleiben, doch Haberland gab ihnen zum Abschied den Rat, den Wald so schnell wie möglich zu verlassen. Der Mietwagen, mit dem Benny sie hierhergefahren hatte, würde mit seinen Sommerreifen auf den kleinen Forstwegen stecken bleiben, sobald der Schnee dichter wurde. Und damit war zu rechnen, wenn man dem Professor Glauben schenken durfte, der sich zum Abschied noch nervöser die Handgelenke gerieben hatte als zu Beginn ihrer Gespräche.
    Marc konnte sich diese Sensibilität in Sachen Wetter zwar nicht erklären, doch tatsächlich musste Benny nach wenigen Metern das Abblendlicht anschalten und den Scheibenwischer eine Stufe höher stellen. Zehn Minuten später konnte man den Eindruck gewinnen, der Wagen habe den laubbedeckten Erdboden verlassen und würde hoch über Berlin eine dichte Wolkendecke durchbrechen.
    »Worüber hast du mit dem Professor so lange gesprochen?«, fragte Benny und trommelte nervös mit den Fingern auf das Lenkrad. Seine Stimme klang besorgt und etwas misstrauisch.
    »Keine Sorge. Ich hab nichts über dich erfahren, was ich nicht schon wusste.«
    Dann erzählte er seinem Bruder von dem weiteren Mysterium, das sich ihm während des Spaziergangs aufgetan hatte.
    »Kein Splitter?«, fragte Benny.
    »Kein Splitter«, bestätigte Marc und drehte sich so, dass Benny seinen Nacken sehen konnte.
    »Außerdem hat er gesagt, dass man bei einem solchen Splitter gewiss keine Immunsuppressiva verschrieben hätte. Eher Antibiotika, um die Entzündung zu bekämpfen.« Benny schüttelte verwundert den Kopf. Sie schaukelten über einen Pfad voller Schlaglöcher, und Marc konnte immer noch nicht erkennen, wo sie waren. Erst als sie auf eine verlassene, aber ausgebaute Straße einbogen, wurde die Sicht etwas besser, und Marc ahnte, in welchem Teil der Stadt sie sich befanden. Hier draußen war er schon einmal mit seinem Bruder gewesen. Jahre zuvor, als der kommende Hass zwischen ihnen nicht mal eine dunkle Vorahnung gewesen war. Hier in der Nähe musste die stillgelegte Kiesgrube liegen, in der sie den Wagen ihres Vaters versenkt hatten.
    »Viertel vor eins am Mittag des dreizehnten November. Wir fahren vom Müggelsee Richtung Altstadt Köpenick«, hörte er Emma hinter sich in ihr Handy diktieren. »Allen Warnungen zum Trotz will Marc Lucas nach Sakrow, zu dem Haus seines Schwiegervaters Professor Constantin Senner.« Constantin.
    Marc gelang es, Emmas Stimme auszublenden, indem er die Augen schloss. Er dachte an den Mann, dem er mehr vertraut hatte als sich selbst; mit dem er sämtliche Aggregatzustände seines emotionalen Bewusstseins geteilt hatte: Freude, Trauer, Wut, Sorge, Euphorie und tiefseedunkle Depression. Er hatte Constantin bewundert, einen integren Menschen mit klaren Zielen, einen Mann, mit dessen konservativer politischer Haltung er wenig anfangen konnte, den er aber seiner Prinzipien und seiner Liebe wegen respektierte, die er jedem entgegenbrachte, der seiner einzigen Tochter et-was bedeutete. Ein Freund, ein Vertrauter und Mentor. Und jetzt schien er der Urheber eines Planes zu sein, der ihn augenscheinlich in den Wahnsinn treiben sollte. »Wieso lebt Haberland so allein?«, hörte er Emma hinter sich fragen. Er öffnete die Augen.
    Sie hatte ihr Handy beiseitegelegt

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