Splitter
wenn die Halme ihn in die Schnauze pikten.
»Sie stellen sich selbst in Frage. Das ist bei Geisteskranken normalerweise nicht der Fall. Vielmehr sind diese meistens bestrebt, ihren verwirrten Zustand mit fadenscheinigen Theorien zu rechtfertigen. So wie Emma, zum Beispiel. »
Marc sah ihm ins Gesicht. Die Wolken ihres Atems trafen sich.
»Sie halten sie für krank?«
»So schnell würde das nur ein Quacksalber diagnostizieren. Aber dennoch, im Gegensatz zu Ihnen stellt Frau Ludwig nicht die alles entscheidende Frage.«
»Bin ich verrückt geworden?«
Haberland nickte. »Ich habe vorhin, als sie schliefen, lange mit ihr gesprochen, dabei wirkte Emma hektisch, nervös, fahrig, und eigentlich hält sie nur nach Beweisen Ausschau, die ihre Verschwörungstheorie rechtfertigen.«
»Sie halten sie also für paranoid?«
»Sie nicht?«
Sie kamen an einer Bank vorbei, die schon bessere Tage gesehen hatte. Die Rückenlehne war vermodert, und auch die Sitzfläche schien keinen größeren Belastungen mehr standhalten zu können. Haberland stellte einen Fuß drauf und entfernte einen Laubklumpen, der sich unter seiner Schuhsohle angesammelt hatte.
»Also mal angenommen, Sie wären völlig gesund, Marc abgesehen von Ihren äußeren Wunden und den verfärbten Augen, die mir im Übrigen große Sorge bereiten -, aber Sie hätten zumindest keine psychosomatische Störung. Das Haus, der See, der Wald, alles ist real, und wir beide führen wirklich dieses Gespräch. Wie könnten Sie sich dann die Vorkommnisse erklären?«
Tarzan trollte sich zu ihnen. Erst jetzt bemerkte Marc, dass der greise Hund es vermied, einen seiner Hinterläufe zu belasten.
»Vielleicht wurde mir ja schon einmal das Gedächtnis gelöscht ?«, mutmaßte er. »Vielleicht hat es beim ersten Mal nicht richtig funktioniert, und ich erinnere mich plötzlich an Fakten aus meinem alten Leben?«
»Möglich.« Haberland zog zweifelnd die Mundwinkel nach oben. »Oder genau das Gegenteil geschieht.« Er bückte sich und warf ein Stöckchen in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Tarzan sah ihm nur müde hinterher.
»Wie meinen Sie das ?«, fragte Marc.
»Ich rede nicht gerne darüber, aber auch ich litt einmal für eine kurze Zeit an einer nahezu vollständigen Amnesie. Ein Gedächtnisverlust, ausgelöst durch ein Trauma, das ich unbedingt verdrängen wollte.« Der Professor rieb sich wieder die Handgelenke. »Der Weg, den ich gehen musste, um mein Gedächtnis ZU finden, war furchtbar. Aber er hat mich eines gelehrt.«
»Was?«
»Dass die Wahrheit oft genau das Gegenteil dessen ist, was wir glauben.«
Er wandte sich von ihm ab und folgte seinem Hund, der den Rückweg eingeschlagen hatte. Marc zögerte eine Weile und musste dann schneller gehen, um zu ihm aufzuschließen.
»Sie befürchten, Ihr Gedächtnis wurde manipuliert. Gelöscht. Vielleicht sogar schon zum zweiten Mal«, sagte Haberland, ohne ihn anzusehen. »Aber was, wenn es gerade erst in dieser Sekunde gelöscht wird? In diesem Moment?«
Marc fröstelte. »Wie soll das gehen?«
»Nun, ich bin mir nicht sicher, wie die BleibtreuKlinik bei ihren Patienten eine künstliche Amnesie herbeiführen will. Bislang sind Gedächtnisausfälle immer ein unbeabsichtigtes Nebenprodukt. Doch ich könnte mir vorstellen, dass sie die Probanden einer Schocktherapie unterziehen. Und ist es nicht genau das, was Ihnen gerade widerfährt? Ein traumatisches Ereignis, das das nächste jagt?«
»Aber weshalb sollte jemand so etwas tun?«
Sie waren schon fast wieder am Blockhaus angelangt. Hinter der Veranda konnte man Stimmen hören, aller Wahrscheinlichkeit nach die von Emma und Benny, die sich zu einer Unterhaltung überwunden hatten. »Damit Sie etwas vergessen. Die Frage ist nur, was.« Marc schloss die Augen und erinnerte sich an eine Sequenz aus dem Traum, aus dem er eben erst erwacht war.
»Ich wünschte, du hättest es nicht erfahren. Zumindest nicht so früh.«
»Ich weiß es nicht«, sagte er wahrheitsgemäß.
»Dann erinnern Sie sich daran.« Der Professor blieb stehen und musterte ihn eindringlich. »Erinnern Sie sich an das, was Sie vergessen wollen!«
»Aber wie, wie soll ich … ?«
Die Uhr an Marcs Handgelenk schnarrte. Er griff in seine Jackentasche, dann schlug er sich an die Stirn. »Was haben Sie?«, fragte Haberland. Auch sein Hund schien ihn fragend anzusehen.
»Ich muss meine Tabletten nehmen, aber die Dinger liegen immer noch in dem Handschuhfach meines Autos.«
»Was für
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