Splitter
sehr.« Sandra sprach mit schwerer Zunge. Ihre Augen flimmerten glasig, und sie lächelte wie unter Drogen.
Ihm schossen die Tränen in die Augen. Er hob die Arme, drehte sich mit einer hilflosen Geste zu seinem Bruder, der sie beide stumm beobachtete. Dann ließ er die Waffe achtlos zu Boden fallen, legte beide Hände auf den Metallrahmen des Bettes, das jetzt von der Schwester weiter vorangeschoben wurde. Er war unfähig, auch nur eine der Abermillionen von Fragen zu formulieren, die gleichzeitig aus seinem Mund sprudeln wollten: Warum lebst du noch? Was habt ihr mit mir gemacht? Was ist mit unserem Baby? »Warum?«, war schließlich das Einzige, was ihm über die Lippen kam.
»Bitte, lassen Sie sie in Ruhe. Die Narkose wurde bereits eingeleitet. Sie muss in den OP.«
Marc hörte kaum, was die Schwester sagte, behinderte sie aber auch nicht mehr. Er lief nebenher und beugte sich zu Sandra, die stumm die Lippen bewegte. »Was?«, fragte er. »Was sagst du?«
»Es tut mir leid.«
»Was tut dir leid?«
Er sah nach vorne. Sie waren nur noch wenige Meter von den gläsernen Flügeltüren entfernt, hinter denen der sterile Bereich begann.
»Wir sind zu weit gegangen«.
»Womit? Was habt ihr denn nur getan?«
Sandras Stimme flatterte. Die Mittel in ihrem Körper lähmten sie von innen, zogen ihr Bewusstsein von ihm fort. Sie flüsterte nur noch: »Aber wir hatten keine andere Wahl. Verstehst du? Du durftest dich nicht erinnern.«
Mit letzter Kraft bäumte sie sich auf, doch die Schwester drückte sie sanft zurück auf die Liege. Marc fühlte einen Druck auf den Schultern, als Nächstes erschien eine Hand, die ihn nach hinten riss. Zurück. Fort von seiner Frau, deren Bett durch die Schleuse zum Operations-bereich geschoben wurde.
»Du durftest dich doch nicht erinnern«, wiederholte Sandra verzweifelt, bevor sie verschwand.
Für immer.
Als die Flügeltüren sich hinter ihr schlossen, hatte Marc das Gefühl, seine Frau endgültig verloren zu haben. »Komm mit«, sagte eine Stimme hinter ihm, die zu der Hand gehörte, die seinen Oberarm wie ein Schraubstock umklammerte. »Es ist so weit. Ich erkläre dir jetzt alles.« Marc drehte sich um und sah seinem Schwiegervater in ein von Sorgen und Müdigkeit zerfurchtes Gesicht. Noch nie hatte Constantin Senner so alt ausgesehen.
68. Kapitel
»Sie lebt!«
»Ja.«
»Es hat nie einen Unfall gegeben?«
Constantin, Marc und Benny standen in dem weitläufigen Behandlungszimmer, in das sein Schwiegervater sie geführt hatte. Ihre Körper waren so weit voneinander entfernt wie nur möglich und bildeten die Eckpunkte eines unsichtbaren rechtwinkligen Dreiecks.
»Doch, aber der Unfall ist nicht tödlich gewesen. Sandra kam mit leichten Blessuren davon. Dein Airbag hingegen … », er atmete schwer, presste das Blut aus seinen Lippen, bevor er weitersprach, »… dein Airbag hat sich nicht geöffnet. Du bist mit dem Kopf gegen den Seitenrahmen geschlagen und hast sofort das Bewusstsein verloren.« Benny zog sich einen Drehstuhl heran und setzte sich mit dem Rücken zu einer Glastür, deren Scheibe bis auf den Boden reichte. Dahinter erstreckte sich eine großzügige Terrasse, die um die gesamte Vorderfront des Neubaus verlief.
»Wir brachten dich hierher in die Klinik«, sagte Constantin, der ebenso wie Marc vor dem Schreibtisch stehengeblieben war. »Als du aufgewacht bist, konntest du dich an die letzten Stunden vor dem Unfall nicht mehr erinnern. Das war die Chance.«
»Wovon zum Teufel redest du? Was für eine Chance?« Kalte Wut stieg in ihm hoch.
»Wir mussten alles daransetzen, um deine Teilamnesie bis zum heutigen Tag aufrechtzuerhalten. Doch uns war klar, dass das Unfalltrauma nicht groß genug wäre, um die Erinnerung auf Dauer zu verdrängen. Also entschieden wir uns dazu, deinem Gehirn etwas anderes zu geben, womit es sich beschäftigen konnte.«
»Ihr habt Sandras Tod vorgetäuscht?«
»Glaub mir, das alles ist uns nicht leicht gefallen. Wir wollten es mehrfach abbrechen. Vor allen Dingen meine Tochter.« Marc erinnerte sich an das Foto des gelben Volvos, das Emma vor dem Revier gemacht und ihm gezeigt hatte. »Die beiden haben sich gestritten. Nur deshalb habe ich die Szene überhaupt fotografiert.«
»Was ist mit der BleibtreuKlinik? Gibt es die überhaupt?«
»Ja. Patrick ist ein guter Freund von mir. Er behandelt oft meine stationären Patienten. Auch dich hat er untersucht, nachdem du hier aufgewacht bist. Patrick erklärte uns, dass deine Amnesie
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