Splitter
Fragebögen, die er hatte ausfüllen müssen - alles nur, um Zeit zu gewinnen, damit sie derweil die Scharade vorbereiten, sein Handy löschen und das Schloss sowie das Namensschild an seiner Wohnungstür austauschen konnten. Aber wieso? Damit weitere Laiendarsteller sich als Leiter seines Büros, als gefesselter Anwalt oder er selbst ausgaben? Das fingierte Drehbuch, der Anrufbeantworter mit Sandras Stimme, die gefälschten Kontoauszüge, das Video in Constantins Villa, das nur so ausgesehen hatte wie die Reportage eines Nachrichtenmagazins, in Wahrheit aber eine Fälschung war - all das sollte seine Erinnerung in die falsche Richtung lenken und ihn gleichzeitig zum richtigen Zeitpunkt hierher in die Klinik lotsen. Weshalb?
»Ich weiß, was du jetzt denkst«, versuchte Constantin zu Marc durchzudringen, der wie betäubt auf den Kasten mit den Aufnahmen starrte. »Wie konnten wir dir das nur antun? Wie konnte ich dich anlügen? Dich wegen eines imaginären Splitters behandeln, damit du Tabletten nimmst, die den Verdrängungsprozess unterstützen? Aber hier ging es um Leben und Tod, verstehst du, mein Junge? Oder glaubst du, mir hat es Spaß gemacht, deine SIM-Karte auszutauschen oder die verdammte Delphinlampe anzuknipsen, nur um dich zu verwirren? Mich hinter deiner Klotür zu verstecken und später im Bad einzuschließen, während du in deiner Wohnung nach mir gesucht hast? Glaub mir, das alles ist nicht auf meinem Mist gewachsen. Ich habe eine Organisation beauftragt, die sich mit Rollenspielen auskennt: Normalerweise veranstalten die gutbezahlte Schnitzeljagden für Erwachsene. Sie wussten nicht, worum es in Wirklichkeit geht, und haben wohl etwas übertrieben. Das Drehbuch, das du in Eichkamp gefunden hast, der Anwalt in deinem Keller, mein verwüstetes Arbeitszimmer, nicht zuletzt die Möbel in eurem Haus. Das war falsch. Keine Frage. Doch am Ende hatten wir keine andere Wahl mehr, das verstehst du doch, oder? Himmel, es ist dein Sohn! Mein Enkel!« Marc bekam nur Fragmente des Redeschwalls mit. Seine Gedanken übertönten jedes dritte Wort des Chirurgen. Nein. Das ergibt doch alles keinen Sinn. Weshalb soll ich mich nicht an die tödliche Krankheit meines Sohnes erinnern, wenn es ohnehin keine Chance mehr für ihn gibt?
Es sei denn … Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag. »Ihr braucht einen Spender!«
Constantin sah ihn fassungslos an. »Ja, aber natürlich. Ich dachte …« Er blickte zu Benny. »Hast du es ihm etwa noch nicht erklärt?«
Sein Bruder schüttelte den Kopf, und eine tiefe Traurigkeit lag in seinen Augen. »Das Reden überlasse ich dir. Ich bin hier ja nur der Mann für die Drecksarbeit.«
»Du willst also transplantieren?«, fuhr Marc dazwischen. »J a, aber die Chance, dass ein Säugling mit einer spenderfähigen Leber stirbt, ist nicht existent, das weißt du.«
»Also brauchst du jemanden, der die gleichen Gene hat wie mein Sohn?«
Constantin nickte vorsichtig. »Es reicht ein Spender mit einer kompatiblen Blutgruppe.«
»Jemanden, dessen Leber man zerschneiden kann, damit sie in den Körper eines Säuglings passt?«
»Ja.«
Klack. Wie auf einem Rechenschieber schob sich die erste Kugel der Wahrheit in sein Bewusstsein. »Wie schnell nach der Geburt braucht ihr das Organ?«
»Sofort. »
»Und wie lange kann man die Leber nach dem Tod des Spenders noch verpflanzen?«
Constantin sah nervös auf seine Armbanduhr. »Nur wenige Stunden.«
Klack. Klack. Zwei weitere Kugeln, zwei weitere Wahrheiten. Blieb eine letzte Frage.
»Würde ich den Eingriff überleben?«
»Nein«, sagte Constantin. »Tut mir leid. Deshalb hatten wir ja keine andere Wahl. Genau daran durftest du dich nicht erinnern.«
Constantins Piepser schlug an, und er nickte ein letztes Mal, wie zur Bestätigung eines geschlossenen Handels. »Also gut, es kann losgehen.«
Er trat vor Bennys Stuhl, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte: »Ich kann mich doch auf dich verlassen, oder? Ein einfacher Schuss in den Kopf. Hirntod, aber das Herz muss noch schlagen. Mach es so, wie ich es dir gezeigt habe.«
Benny nickte, zog die Waffe aus der Jackentasche und entsicherte die Pistole, während Constantin den Raum verließ und hinter sich abschloss.
69. Kapitel
»Hast du nicht selbst immer gesagt, der Zweck heiligt die Mittel? Ist das nicht dein Lebensmotto?«
»Du bist wahnsinnig, Sandra. Der Zweck heiligt doch niemals den Tod.«
Die Erinnerung an das Streitgespräch vor dem Unfall übertönte das Rauschen des
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