Splitterfasernackt
leises Seufzen dringt dicht an mein Ohr.
Es ist wunderschön. Und schrecklich traurig.
Denn ich werde nie eine Helena sein.
Sex ist ein Spiel für Gewinner. Und ich habe mit sechs Jahren meinen Einsatz verloren.
Seitdem ist Sex eine Dienstleistung. Ein Dienst, den ich leiste, um zu verstehen. Und so wird es immer sein, solange ich dieses aufgesetzte, starre Trugbild meiner selbst bin und solange ich die Kleider trage, die Ana für mich geschneidert hat.
9
A m nächsten Tag werde ich erst kurz nach 16 . 00 Uhr wach. Mit müden Augen stehe ich auf, falle in Ohnmacht, stehe wieder auf, falle noch einmal in Ohnmacht, stehe wieder auf und gehe ins Bad.
Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, was für ein Wochentag gerade ist. Die Zeit spielt ihre Streiche mit mir, weil Ana ihr meine Schwächen verraten hat und weil ich meine Finger nicht von den Rasierklingen lassen kann.
Die Nacht ist blind und mein Kopf voll blutroter Farben.
Der Tag ist dunkel und mein Verstand ein verlorenes Schlachtfeld.
Aber ich gehe trotzdem ins Passion. Denn ich bin nicht hier, um zu heulen. Ich bin hier, um zu lächeln. Jeden Tag.
Egal, wie viele Schwänze ich lutsche.
Meine Haare sind nass von einem leichten Nieselregen, und da es im selben Augenblick, in dem ich das Passion betrete, anfängt, an der Tür zu klingeln, schlüpfe ich schnell aus meiner Jeans und ziehe mir ein trägerloses violettes Kleid an, in dem ich aussehe wie Victoria Beckham zu Spice Girls’ Zeiten – jedenfalls hat das irgendein besoffener Kunde einmal zu mir gesagt.
Aber was Männer sagen. Wer glaubt das schon.
Nachdem ich mich bei allen drei Kunden, die gerade gekommen sind, vorgestellt habe, lege ich mich neben Minny auf das Bett im Mädchenzimmer und höre zu, wie sie ein bulgarisches Lied vor sich hin singt.
Kurz darauf ruft Marla: »Felia, Zimmer drei für dich. Brittany, Zimmer vier für dich, und er will haben eine Flasche Dom Pérignon. Der Idiot in Zimmer zwei sagt, er müssen noch denken nach, aber er nicht aussehen, als würden sein Gehirn ihm dabei helfen.«
Brittany lacht, schnappt sich ein Tablett und geht zum Regal, um sich zwei Gläser zu holen, und ich husche noch schnell ins Bad, um mich frisch zu machen, und dann weiter zum Zimmer drei. Der Mann, der dort auf mich wartet, ist sehr jung, höchstens Ende zwanzig, er sieht gut aus, mit kurzen dunkelbraunen Haaren und muskulösen Armen. Er lächelt mich charmant an und fragt, ob ich Lust habe, eine Stunde bei ihm zu bleiben.
»Natürlich«, sage ich.
Ich verrate ihm nicht, dass ich lieber eine braunweiße Ente wäre, die auf einem stillen See hin und her schwimmt oder sich treiben lässt von sanften Wellen.
Denn niemand möchte so etwas hören.
Nachdem ich das Geld bei Marla abgegeben und mir ein Laken geholt habe, gehe ich zurück zu dem Mann ins Zimmer.
Einen Raum betreten.
Das kann ich.
Auch wenn ich weiß, dass ich dort gleich Sex haben werde.
Ich könnte mich umdrehen. Und das Weite suchen.
Versprich mir, dass ich das könnte!
Versprich es mir, Ana. Versprich es mir, Mia.
Und du, Lilly. Versprichst du es mir auch?
Denn wenn nicht – verkaufe ich mich vergeblich.
»Wie heißt du?«, frage ich, um meine Gedanken zu übertönen.
»Max«, sagt der Mann und legt seine großen Hände um meine Taille.
Dann küsst er mich, und es kribbelt in meinem Bauch. Er riecht sexy, das macht es leichter, aber es bedeutet nichts. Ich streife ihm das Shirt über den Kopf, sein Penis wird hart, ich spüre, wie er durch seine Hose hindurch gegen meinen Körper drückt. Geschickt öffne ich seine Knöpfe, ziehe ihm die Hose aus und presse mich so fest an ihn, dass sein Atem immer heftiger wird. Er hebt mich hoch, legt mich auf das weiche Bett, und wenig später fühle ich auch schon seinen kräftigen Körper auf mir.
Während wir uns küssen, angele ich gekonnt nach einem Kondom, ziehe es ihm professionell mit einer Hand und geschlossenen Augen über, und dann ist er auf einmal in mir.
Seltsam – wie gleichgültig und dennoch gültig etwas sein kann. Gekaufter Sex zählt nicht, er wird niemals zählen.
Aber trotzdem ist er da.
»Du bist wunderschön«, flüstert Max mir ins Ohr.
Er küsst mich, so zärtlich, dass ich meine Augenlider noch fester zusammenpresse. Denn mit geschlossenen Augen ist es leichter, weit weg zu sein; nicht dabei sein zu müssen, davonzudriften. Und dann hört Max mittendrin einfach auf und legt sich neben mich. Sein rechter Arm ruht auf meiner
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