Splitterndes Glas - Kriminalroman
mochte ihre Arbeit, sie mochte sogar sich selbst. War es wirklich so einfach?
Das nächste Mal, als Andrew anrief, legte sie auf. Und dann wieder. Und wieder. Bis er damit aufhörte.
Erst hier im Krankenhaus hatte sie ihn wiedergesehen.
Sag es ihm. Bitte, Will. Sag ihm, dass er nicht kommen soll
.
Sie nahm den Brief in die Hand. Ihn zu öffnen wäre wie das Öffnen einer Tür. Sie riss den Umschlag und die Seiten, die er enthielt, in Fetzen und steckte sie in die Tasche ihres Bademantels; wenn sie das nächste Mal zur Toilette ging, würde sie sie runterspülen.
Jetzt aber musste sie Will anrufen und ihm mitteilen, was Lesley ihr über Howard Prince erzählt hatte.
|295| 28
Rastricks Team kümmerte sich um den Aspekt Cambridge/ Newmarket, suchte Querverweise in den zugänglichen Akten und erstellte eine Liste der Straftäter zwischen sechzehn und fünfundzwanzig mit einer Vorliebe für Straßengewalt oder Spritztouren in gestohlenen Autos.
Es waren vierunddreißig Namen. Elf von ihnen verbüßten derzeit Haftstrafen zwischen sechs Monaten und fünf Jahren; einer hatte das Land verlassen; zwei weitere waren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen, als sie in einem fast neuen gestohlenen Mercedes unterwegs und zehn Meilen vor Thetford auf der A11 frontal in einen Lastwagen gefahren waren.
Blieben also zwanzig Personen, die auf freiem Fuß waren. Vierzehn von ihnen waren auf Bewährung oder standen wegen antisozialen Verhaltens unter Aufsicht.
Adam.
Daryl.
Brian.
Matt.
Liam.
Stuart.
Kyle.
Noch einmal Stuart.
Shane.
Eddie.
Jason.
Noch ein Adam.
Alex.
Jon.
Rob.
Daniel.
|296| Darren.
John.
Mark.
Jamie.
Ihr Aufenthaltsort musste ermittelt werden, um sie auf dem Revier vernehmen zu können. Ein paar der Adressen in den Akten waren noch aktuell, aber längst nicht alle; die Bewährungshilfe konnte einige liefern, das Sozialamt andere. Ein Telefonanruf nach dem anderen. Die Beamten fuhren im Doppelpack herum, erklommen Treppen, klopften an Türen. Man begegnete ihren Nachfragen mit Überraschung, Verwirrung, plötzlichem Gedächtnisverlust, Ausreden, unverschämten Lügen.
Nach drei Tagen eifrigen Suchens hatten sie fünfzehn gefunden.
Adam Priestley war Nummer fünfzehn.
Nummer fünfzehn an einem langen Tag.
Priestley war achtzehn, sah aber jünger aus. Mager, ein vernarbtes Gesicht, kleiner Mund, zu weit aufgerissene Augen. Höchstens einen Meter sechzig groß. Der extrem kurz geschorene Kopf, für den er beim Friseur wahrscheinlich gutes Geld gelassen hatte, machte ihn keineswegs sympathischer. Die Art von Junge, die als Kind in der Schule ständig schikaniert wird: der Letzte, den man auffordert mitzumachen, Zielscheibe des Spotts. Im linken Ohr trug er einen kleinen Silberring, Drachentattoos am Hals und auf dem linken Handgelenk.
Konfrontiert mit zwei Beamten in Zivil, die inzwischen selbst müde waren, blinzelte Priestley, kratzte sich und zappelte ununterbrochen auf seinem Stuhl herum. Bei der Vernehmung leugnete er alles. Wusste nicht, worüber sie redeten. Wusste rein gar nix über irgendwelche Autos. Er war zu Hause gewesen. Er war ausgegangen. Hatte mit seinen |297| Kumpeln ein Video angesehen. War nicht da gewesen. Mit beinahe selbstzufriedener Miene schniefte Priestley laut und kaute an einem eingerissenen Fingernagel herum.
Was für ein Scheißspiel, dachte Rastrick, der das Verhör auf einem Videomonitor verfolgte. Jungs wie den hab ich schon zum Mittagessen verspeist – zum Frühstück, Mittagessen und Abendbrot.
»Okay«, sagte er, als er den Raum betrat. »Wie wär’s mit einer kleinen Unterbrechung? Einer Verschnaufpause? Macht schon, schiebt los, geht runter in die Kantine. Ich sorge dafür, dass Adam sich nicht langweilt.«
Nachdem das Aufnahmegerät abgeschaltet war, ließ Rastrick sich auf einem Stuhl nieder.
»Gut. Adam. Wir hören jetzt mit dem Blödsinn auf. Ich stelle dir Fragen, und du antwortest mir. Aber dieses Mal sagst du die Wahrheit, okay?« Er sah Priestley fest an. »Okay? Haben wir uns verstanden?«
»Ja.« Fast zu leise, um es zu hören.
»Verstanden?«
»Ja.«
»Gut. Das klingt schon besser. Also, wessen Idee war es, den Wagen zu klauen?«
Priestley blinzelte. »W-welchen Wagen?«
»Den Escort.«
Priestley blinzelte. »Welchen Escort? Ich weiß nix über ’n Escort.«
»Der, den du um den Laternenpfahl auf der Newmarket Road gewickelt hast.«
»Ich hab gar nicht …«
»Du bist nicht gefahren?«
»Nee. Ich …«
»Sie haben
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