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Splitterndes Glas - Kriminalroman

Splitterndes Glas - Kriminalroman

Titel: Splitterndes Glas - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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hatte sie ihn vom Flughafen abgeholt, und weniger als einen Monat später waren sie zusammengezogen. Oder vielmehr: Sie war zu ihm gezogen. Eine Wohnung in Camden, die der Freund eines Freundes an Andrew untervermietet hatte. Nicht, dass er die ganze Zeit dort gewesen wäre: In seinem Beruf musste er viel reisen.
    |292| Sie war fünfundzwanzig und noch uniformierte Polizistin. Aber alt genug, um es besser zu wissen. Es dauerte eine Weile, bis sie sich eingestand, dass sein Alkoholkonsum ein Problem war, noch länger, bis sie ihn wegen all der Pillen, die er schluckte, zur Rede stellte. Als sie schwanger wurde, redete er ihr ein, dass es der falsche Zeitpunkt sei: Sie wolle doch zur Kriminalpolizei befördert werden, oder nicht? Und überhaupt, im nächsten Jahr werde er wahrscheinlich viel zu tun haben, mehr denn je. Für Kinder sei später noch genügend Zeit.
    Weniger als einen Monat nach der Abtreibung stand eine junge Frau vor ihrer Tür. Ein blasses, zartes, hübsches Gesicht wie eine Skizze mit verwischten Linien; auf den ersten Blick hatte Helen gedacht, sie sei noch ein Mädchen, aber dann erkannte sie ihren Irrtum. Als ihr hellbrauner Regenmantel sich ein Stück öffnete, konnte Helen ganz deutlich sehen, dass sie ein Kind erwartete. Sie war im sechsten Monat oder im siebten.
    »Es tut mir leid«, sagte sie. »Es tut mir wirklich leid. Ich war mir so unsicher, ob ich kommen sollte. Andrew würde mich umbringen, wenn er es wüsste.«
    Aber Andrew war in Amsterdam.
    Helen bat sie herein.
    Ihr Name war Brenda, und sie war zweiundzwanzig. Sie hatte ein Ein-Zimmer-Apartment in Shepherd’s Bush, aber Andrew hatte versprochen, er würde etwas Größeres finden, wenn das Kind erst da war. Nein, sie hatte ihn in letzter Zeit nicht so oft gesehen, aber er hatte besonders viel zu tun, das wusste sie. Und sie wusste auch über Helen Bescheid. Andrew hatte ihr einmal von Helen erzählt, als er betrunken war – er wollte sie eifersüchtig machen, nahm sie an.
    Jetzt hatte sie Angst, dass Andrew seine Meinung ändern würde, sobald das Baby geboren war, obwohl er ihr |293| hoch und heilig versprochen hatte, dass das nicht passieren würde. Ganz am Anfang, als sie von ihrer Schwangerschaft erfuhr, hatte sie sogar gesagt, dass sie   … nun ja   … etwas machen lassen würde, aber Andrew hatte gesagt, nein, das wäre nicht richtig.
    Tränen brannten in Helens Augen.
    Sie machte Brenda Tee und hielt ihre Hand. Sie solle sich keine Sorgen machen, alles würde gut werden. Das mit ihr und Andrew sei nichts Ernstes, eher eine Art Affäre. Du weißt ja, wie die Männer so sind. Sobald das Baby da ist, kommt alles in Ordnung, du wirst schon sehen.
    Helen hatte sie zur U-Bahn gebracht und auf dem Rückweg die Telefonnummern von einigen kleinen Umzugsdiensten ausfindig gemacht. Dann hatte sie telefoniert, während sie packte. Sie konnte sich nicht dazu überwinden, zu ihren Eltern zu gehen, und deshalb fuhr sie zu ihrer Schwester nach Stevenage.
    »Du bist verdammt blöd gewesen«, hatte ihre Schwester gesagt, nachdem Helen ihre Geschichte erzählt hatte. Ein schwacher Trost und ein starker Gin Tonic, ein Bett im Gästezimmer, solange sie wollte, jedenfalls solange Gary keinen Aufstand machte. Sie könnte vielleicht auf die Kinder aufpassen und so zu ihrem Unterhalt beitragen.
    Sie war schon nach Cambridge gezogen, als Andrew sie schließlich aufspürte. Sein lächelndes Gesicht an ihrer Tür. »Hel, komm schon, lass mich rein. Es ist eiskalt hier draußen und ich bin meilenweit gefahren. Eine Tasse Kaffee und ich bin wieder weg.«
    Er wartete, bis sie an der Spüle stand und die Becher auswusch, und dann stellte er sich dicht hinter sie, presste seinen Körper an ihren, atmete in ihren Nacken.
    »Andrew, lass das   …« Aber sie schauderte und zitterte, und ihre Stimme verfing sich in ihrer Kehle.
    |294| Er nahm sie auf dem Küchenfußboden und später dann in ihrem Bett. Am Morgen war er fort, und sie fühlte sich hohl und wund.
    Nie wieder.
    Und als er sie drei Monate später um zwei Uhr morgens anrief und schwor, dass er sie liebe und nicht wisse, wo er hinsolle, sagte sie, er solle zur Hölle gehen. Aber als er an die Tür klopfte und sie sein Gesicht sah, ließ sie ihn herein und belog sich selbst, indem sie meinte, er könnte auf dem Sofa schlafen.
    Sie machte eine Therapie. Sprach über ihre Träume, über ihr Selbstwertgefühl. Sie wurde erwachsen. Inzwischen arbeitete sie mit Will zusammen und war über den Berg. Sie

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